Lokführerstreik trifft deutschen Bahnverkehr massiv
Berlin/Frankfurt (dpa) - Gestresste Pendler, gestoppte Fracht: Der bisher längste Lokführerstreik im derzeitigen Tarifkonflikt hat den Güter- und Personenverkehr in Deutschland am Donnerstag hart getroffen.
Am frühen Morgen fielen bundesweit etliche S-Bahnen und Pendlerzüge aus.
Wegen der Arbeitskampfes der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) konnte zudem jeder dritte Fernzug nicht losfahren, wie die Deutsche Bahn mitteilte.
Auch nach dem Ende des sechsstündigen Ausstands um 10.00 Uhr mussten Reisende mit weiteren Behinderungen bis in den Abend rechnen. Im Güterverkehr, der seit Mittwochabend lahmgelegt wurde, blieben Hunderte Züge stehen. Die Deutsche Bahn kritisierte die Eskalation des Arbeitskampfes und forderte weitere Verhandlungen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält die Streikfolgen für „nicht zu verantworten und unverhältnismäßig“. An jedem Streiktag entstünden der deutschen Wirtschaft „Schäden in mindestens zweistelliger Millionenhöhe“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf.
Die GDL will den Streik nun nicht unmittelbar fortsetzen, ließ aber offen, wann es das nächste Mal wieder so weit sein könnte. „Die GDL wird nun eine Pause machen, damit sich die Arbeitgeber besinnen können“, sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky. Zugleich drohte er aber mit einer Verschärfung der Streiktaktik. „Wer uns kennt, weiß, dass wir sehr weit gehen können. Aber das wollen wir eigentlich nicht, denn wir wollen Verhandlungen“, fügte er hinzu.
Bundesweit seien im Güter- und Personenverkehr mehr als 80 Prozent der Züge ausgefallen oder hätten sich massiv verspätet, bilanzierte die GDL. Neben der bundeseigenen Deutschen Bahn (DB) seien auch Züge der Konkurrenten Metronom, Hessische Landesbahn und Veolia Verkehr Sachsen-Anhalt betroffen gewesen. Erhebliche Störungen gab es nach Bahn-Angaben bei den S-Bahnen in Berlin, Hannover, München, Frankfurt am Main, Nürnberg, Stuttgart und der S-Bahn Rhein-Neckar.
Weselsky die Arbeitgeber abermals auf, ein besseres Angebot vorzulegen. Die GDL strebt gleiche Tarifbedingungen für alle rund 26 000 Lokführer in Deutschland an. Kernforderung sind einheitliche Einkommen auf dem Niveau des Marktführers DB sowie fünf Prozent mehr Geld auch bei den sechs großen Wettbewerbern Abellio, Arriva, Benex, Keolis, Veolia und Hessische Landesbahn. Dafür hatte die GDL schon mit drei kürzeren Warnstreikwellen Druck gemacht.
Im Güterverkehr blieben wegen des am Mittwochabend begonnenen 14-Stunden-Streiks rund 300 Güterzüge stehen, wie die Bahn mitteilte. Sie will diesen Stau bis zum Wochenende auflösen. Schwerpunkte seien Rangieranlagen in Halle/Saale, im Südwesten und im Großraum Hamburg gewesen. Die GDL sprach von 600 ausgefallenen oder verspäteten Güterzügen. Die Bahn betonte, zwei Drittel der Transporte hätten fahren können.
Massive Auswirkungen auf die Industrie wurden zunächst nicht bekannt. Im VW-Werk Wolfsburg lief die Produktion „reibungslos durch“, wie ein Sprecher sagte. Der Energiekonzern Vattenfall berichtete, alle Kraftwerke seien sicher mit Kohle versorgt.
Die Deutsche Bahn verurteilte die Arbeitsniederlegungen scharf. „Der Streik ist gänzlich widersinnig“, sagte Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. „Die DB bietet den Lokführern die besten Bedingungen in der Branche und unterstützt die Kernforderungen der GDL - und wird dafür bestreikt.“ Die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG beklagte, Zugbegleiter und Fahrkartenverkäufer müssten Unmut über das Chaos ausbaden, dass die GDL anrichte.
Auch aus der Regierungskoalition kam Kritik am Vorgehen der GDL. Die Verbraucherschutzbeauftragte der Unions-Bundestagsfraktion, Mechthild Heil (CDU), sagte der dpa: „Langsam entgleist mir das Verständnis für die Gewerkschaft der Lokführer, die für ihre Partikularinteressen die Bahnkunden in Geiselhaft nimmt. Der Ärger für die Verbraucher und der wirtschaftliche Schaden stehen in keinem Verhältnis zu den Forderungen.“ Der FDP-Verbraucherpolitiker Erik Schweickert forderte mehr Informationen für Bahnkunden.
Der Fahrgastverband Pro Bahn mahnte, die Geduld der Kunden nehme „ganz stark ab“. Der Vorsitzende Karl-Peter Naumann schlug vor, einen Mediator einzuschalten. Dafür könne er sich auch Kirchenleute vorstellen, etwa die Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, oder einen Bischof.