Mindestlohn-Reaktionen: Von Schulterzucken bis Haareraufen
Berlin (dpa) - Der Riss trennt große Handelskonzerne und kleine Betriebe, Ballungsräume und ländliche Regionen, West und Ost. Während die einen dem geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro gelassen entgegensehen, fürchten die anderen um ihre Existenz und damit um Arbeitsplätze.
Wenn die Lohnuntergrenze kommt, dann bitte erst in einigen Jahren, so die Hoffnung von Landwirten oder Taxiunternehmen. Union und SPD hatten sich zu Wochenbeginn auf einen gesetzlichen Mindestlohn verständigt. Höhe und Starttermin sind noch offen.
Von den Plänen sieht sich Discount-Marktführer Aldi nicht betroffen. Aldi Süd zahle selbst geringfügig Beschäftigten einen internen Mindestlohn von elf Euro die Stunde. „Der derzeit diskutierte Mindestlohn von 8,50 Euro hat aus diesem Grund keinen Einfluss auf das Vergütungssystem in unserem Haus“, sagte eine Sprecherin. Aldi Nord verwies darauf, dass eine Verkäuferin im ersten Berufsjahr am Tarifbeispiel Nordrhein-Westfalen 11,08 Euro pro Stunde erhalte.
Die Metro Group betonte, es gebe im Großhandel mit Sachsen und Sachsen-Anhalt nur noch zwei Tarifgebiete, wo der unterste tarifliche Lohn derzeit nicht über 8,50 Euro liege. „Somit erhalten die Mitarbeiter für ihre Arbeit Löhne, die in aller Regel höher sind als der geforderte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro“, sagte ein Sprecher.
Die Bäckerei-Kette Kamps erklärte, sie halte sich an den Tarifvertrag für Bäckereien. Dessen unterste Stufe sehe einen Lohn von 8,50 Euro vor. Dies gelte jedoch nur für die 440 Mitarbeiter am Hauptsitz in Schwalmtal (bei Mönchengladbach). In den als Franchise-Unternehmen geführten Bäckereien könnte das anders aussehen. In den Musterverträgen für Mitarbeiter gebe man zwar einen Stundenlohn von 8,50 Euro vor, allerdings müssen sich die Franchise-Partner nicht daran halten.
Auch die Gastronomie in Nordrhein-Westfalen fürchtet die 8,50 Euro nicht. Eine Tarifvereinbarung sichere Beschäftigten von der Spülhilfe bis zur Kellnerin bereits jetzt mindestens 8,50 Euro die Stunde zu, sagte Thorsten Hellwig vom nordrhein-westfälischen Hotel und Gaststättenverband (Dehoga). „Wir haben jedoch ein grundsätzliches Problem mit einem flächendeckenden Mindestlohn - insbesondere dann, wenn die Politik ihn festlegt.“ Regionale Begebenheiten erforderten regionale Löhne.
Das sieht auch der Dehoga in Thüringen so: Kneipen- und Restaurantbesucher müssten in dem Land tiefer in die Tasche greifen, sollte der flächendeckende Mindestlohn kommen. „Wir müssten dann nicht nur die Einstiegslöhne für Hilfskräfte anheben, sondern das gesamte Lohngefüge verändern“, sagte Verbandsgeschäftsführer Dirk Ellinger. „Die Folge wären Preiserhöhungen von sieben bis zehn Prozent nur durch gestiegene Personalkosten.“ Die Gastronomen pochten daher auf eine eigene Tarifpolitik.
Der Präsident des Sächsischen Handwerkstags, Roland Ermer, sprach sich strikt gegen einen vorgeschrieben Mindestlohn aus. Vor allem für kleine Bäckereibetriebe im ländlichen Raum seien die 8,50 Euro ein „schwerer Einschnitt“, sagte Ermer, selbst Bäckermeister. „Sie können einer Bäckereiverkäuferin doch nicht mehr bezahlen, als sie mit ihrer Arbeit erwirtschaften kann.“
Um ihre Existenz fürchten auch Brandenburgs Landwirte. Bei einem gesetzlichen Stundenlohn von 8,50 Euro würden „vor allem Betriebe für Obst- und Gemüseanbau sowie Zierpflanzen, vor dem Aus stehen“, sagte der Geschäftsführer des brandenburgischen Landesgartenbauverbandes, Andreas Jende. „In der märkischen Branche sind jährlich etwa 5500 Saisonkräfte im Einsatz“. Produkte wie Spargel, Gurken oder Äpfel müssten auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben, sonst würden sie durch billigeres Obst und Gemüse aus dem Ausland ersetzt.
In Nordrhein-Westfalen pochen die Landwirte dagegen auf Zeit. Wenn die Vergütungen für Saisonkräfte oder Erntehelfer ohne Übergangsreglung von derzeit 7,00 Euro auf 8,50 Euro angehoben würden, könnten dies die Sonderkulturbetriebe - das sind zum Beispiel Obstbauern - nicht verkraften, warnte der Rheinische Landwirtschafts-Verband.
Ebenso argumentierte auch der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband BZP: Ohne eine mindestens zweijährige Übergangsfrist würde ein Mindestlohn die legale Beschäftigung von angestellten Fahrern in vielen Gebieten unmöglich machen. Das bedeute vor allem für Betriebe mit mehreren Autos das Aus. Die Versorgung mit Taxidienstleistungen wäre in vielen Regionen nicht mehr gesichert.