Nach dem Aus der Fluggesellschaft Mitarbeiter der Air Berlin: Trauer, Tränen und ein Gefühl der Ohnmacht

Wie geht es weiter mit den Mitarbeitern der insolventen Air Berlin? Ein Flugkapitän und zwei Flugbegleiterinnen aus NRW schildern offen ihre Situation.

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Aachen. Der Zorn unter den einst gut 8000 Mitarbeitern von Air Berlin wächst. Nicht nur, dass sie bei der insolventen Fluggesellschaft keine Zukunft mehr haben — große Teile von ihnen sitzen jetzt zudem zwischen allen Stühlen, weil sie lediglich auf Widerruf von ihrem Job freigestellt worden sind. Dabei braucht sie das Unternehmen nicht mehr, der Flugbetrieb ist ja eingestellt. Wer sie bezahlt, bleibt offen, denn für das Gehalt reicht das Geld aus der Insolvenzmasse nicht. Und ob sie sich auf dieser Grundlage arbeitslos melden können, ist fraglich. Das hat dazu geführt, dass sich bislang nur ein Drittel der Air-Berlin-Mitarbeiter, die dies machen könnten, bei den Arbeitsagenturen gemeldet hat.

Drei langjährige und erfahrene Mitarbeiter der Fluggesellschaft, zwei Flugbegleiterinnen und ein Flugkapitän, haben im Gespräch mit unserer Zeitung geschildert, wie sie die letzten Wochen und Monate erlebt haben, wie groß ihre Enttäuschung und Verunsicherung ist und wie emotional der Abschied war. Wir dokumentieren im Folgenden die Aussagen der drei Air-Berliner, die in NRW leben und anonym bleiben wollen.

Ein letzter Gruß: Eine Bordkarte vom letzten Air-Berlin-Flug am 17. Oktober von München nach Berlin-Tegel. Bei den Mitarbeitern der insolventen Fluggesellschaft wächst der Zorn und die Unsicherheit darüber, wie es nun mit ihnen weitergeht.

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„Wir gehören zu den Air-Berlin- Mitarbeitern, die auf Widerruf freigestellt worden sind. Das bedeutet: Uns ist nicht gekündigt worden, Air Berlin verzichtet allerdings auf unsere Arbeitsleistung. Seit dem 1. November erhalten wir kein Gehalt mehr, weil die Erlöse aus dem Verkauf der Teile von Air Berlin nicht reichen, um unsere Löhne zu zahlen. Wir hängen also komplett in der Luft. Das Schlimmste daran ist, dass wir keine verbindlichen Informationen darüber bekommen, wie wir uns jetzt verhalten sollen. Ist es besser, sich bei der Arbeitsagentur arbeitslos zu melden, um dann Arbeitslosengeld beziehen zu können? Oder verwirken wir damit unser Recht auf eine Kündigungsschutzklage? Was geschieht mit den Versicherungen, mit der Altersvorsorge? Das sind Fragen, auf die wir keine verlässlichen Antworten bekommen. Arbeitsagentur, Anwälte, Steuerberater: Alle sagen etwas anderes. Das ist sehr belastend.“

„Einige unserer Kolleginnen und Kollegen haben sich bei der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet, weil sie die Sicherheit brauchen, weil sie Ende des Monats auf das Geld angewiesen sind. Viele Alleinerziehende, die in Teilzeit arbeiten, sind dabei. Wir können das sehr gut nachvollziehen. Für uns ist das aber im Moment nicht der richtige Weg.“ Die soziale Komponente „Dass es mit Air Berlin nicht gut enden würde, haben wir irgendwann geahnt. Sehr überrascht sind wir allerdings von der Art und Weise, wie dieses Verfahren jetzt durchgezogen wird: nämlich knallhart. Es geht dabei nur um die Flugzeuge und Routen. Die über 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interessieren offensichtlich nicht. Darüber sind wir maßlos enttäuscht. Immerhin haben wir uns bis zuletzt mit unserer ganzen Kraft eingesetzt. Die soziale Komponente fehlt völlig. Durch die widerrufliche Freistellung bluten viele unserer Kolleginnen und Kollegen finanziell aus. Aber vielleicht ist das ja auch Absicht, damit sie dann einen weniger lukrativen Vertrag bei einer anderen Airline unterzeichnen und keine Kündigungsschutzklage einreichen.“

„Dass wir uns jetzt bei Easyjet und bei Lufthansa, genauer: bei Eurowings neu bewerben sollen, ist nicht einzusehen. Unsere Qualifikation ist doch offensichtlich. Es geht nur darum, einen geordneten Betriebsübergang zu verhindern, damit wir unser bisheriges Gehalt und unsere tariflichen Rechte nicht mitnehmen können. Uns ist klar, dass wir finanzielle Abstriche machen müssen. Und wir sind auch bereit, das zu akzeptieren. Aber die Option, jetzt zu Eurowings Europe mit Sitz in Österreich zu wechseln, ist für uns keine. Auch wenn die deutschen Tarifbedingungen gelten sollen, wenn wir an deutschen Standorten eingesetzt werden: Die tarifrechtlichen Arbeitsbedingungen dort sind viel schlechter. Wir sind ja sogar schon von Eurowings-Mitarbeitern gewarnt worden, dort anzuheuern. Und was geschieht nach der Probezeit von sechs Monaten? Werden wir dann auch wirklich übernommen? Wir haben den Verdacht, dass uns Eurowings Europe in Wirklichkeit gar nicht will, weil wir selbstbewusst und kritisch sind und uns mit dem Tarifrecht gut auskennen."

„Natürlich fühlen wir uns von der Politik im Stich gelassen. Angela Merkel hat bei einem Treffen mit Kolleginnen und Kollegen gesagt: ,Seien Sie unbesorgt. Um Sie wird sich gekümmert.‘ Das Gefühl, dass dies tatsächlich geschieht, drängt sich nicht unbedingt auf. Auch von den anderen Politikern erfahren wir keine Unterstützung. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Gregor Gysi. Der hat sogar eine Strafanzeige gegen den Sachwalter angeregt.“

„Ob die Insolvenz zu verhindern war? Die Verluste haben sich in den vergangenen Jahren ja immer weiter aufgetürmt. Uns war klar, dass das nicht immer so weitergehen konnte. Aber wir waren der Meinung, wenigstens bis zum Sommerflugplan 2018 sicher zu sein, weil Etihad ja Geld zuschoss. Der Rückzug von Etihad Mitte August kam dann völlig überraschend. Bei uns ist allerdings der Verdacht aufgekommen, dass dies alles ein abgekartetes Spiel war. Warum war die Kanzlerin mit Lufthansa- Chef Spohr noch Anfang des Jahres in Abu Dhabi? Wie kann es sein, dass Etihad am 12. August bekannt gibt, dass kein Geld für Air Berlin mehr fließt, und am Tag darauf erscheint der Insolvenzverwalter und erklärt, er sei schon seit Monaten mit der Insolvenz von Air Berlin beschäftigt? Das passt doch nicht zusammen. Ist also Air Berlin geopfert worden, um Lufthansa zu stärken? Das lässt sich natürlich nicht beweisen, aber das mulmige Gefühl bleibt."

„Das Arbeitsklima bei Air Berlin war schon seit längerer Zeit angespannt. Der Arbeitgeber hat eigentlich immer nur gefordert. Alle müssten zusammenstehen, damit das Ziel, eine schwarze Null in der Bilanz zu schreiben, doch noch erzielt werden könne, hieß es immer. Und wir Beschäftigten haben alles mitgemacht, weil wir die Hoffnung hatten, noch die Kurve zu bekommen. Und als klar war, dass dies nicht der Fall sein wird, sind wir fest davon ausgegangen, dass es zu den bestehenden Konditionen bei anderen Airlines wie der Lufthansa bzw. Eurowings nahtlos weitergehen würde. Pustekuchen. Im letzten Halbjahr ist es sogar vorgekommen, dass Air Berlin keine Hotelzimmer für die Crews gebucht hat. Die Kollegen sollten in Vorkasse gehen. Einige haben das getan, andere nicht. Die haben dann in der Hotellobby geschlafen. Wir haben das alles gemacht, und dann setzt es doch nur einen Tritt. Das ist demütigend.“

„Natürlich sind Fehler im Management gemacht worden. Air Berlin ist zu schnell gewachsen. Der ein oder andere Manager war damit überfordert. Und es gab keinen klaren Kurs: Fliegen wir nur innerdeutsch? Oder sind wir ein Touristik-Flieger im Mittelmeerraum? Bedienen wir das Premium-Segment auf der Langstrecke? Oder doch lieber das Touristik-Segment? Es gab keine Stetigkeit und keine klare Positionierung, wofür Air Berlin am Markt eigentlich steht. Das hat sich irgendwann gerächt.“

„Wir durchleben gerade eine einzige Achterbahnfahrt. Diese Hängepartie muss endlich aufhören. Es hat ja bereits Suizide in der Kollegenschaft gegeben. Jetzt ist es so, dass der Schwarze Peter hin- und hergeschoben wird. Dazu gehört auch, wie die angeblich massenhaften Krankmeldungen von Piloten am 12. September vom Konzern verkauft wurden. Die gab es nämlich gar nicht. Tatsächlich hatten sich 20 bis 30 Piloten krank gemeldet. Das ist keine ungewöhnlich hohe Zahl. Und tatsächlich wurden Flüge plötzlich gecancelt, obwohl die komplette Crew schon an Bord und bereit war abzufliegen. Eine Begründung gab es dafür nicht. In der Öffentlichkeit entstand aber der Eindruck, die Piloten seien schuld.“

„Das Ende von Air Berlin war eine sehr emotionale Angelegenheit, und das nicht nur wegen der Ehrenrunde des Kollegen beim Landeanflug auf Düsseldorf. Wir haben sehr viel Zuspruch von den Passagieren bekommen. Das haben wir in all den Jahren im Beruf so noch nicht erlebt. Da sind viele Tränen geflossen, nicht nur bei den Kolleginnen und Kollegen.“

„Dieses Gefühl der Ohnmacht, der Ungerechtigkeit, der Ungewissheit, der nicht eingehaltenen Versprechen, auch des sozialen Abstiegs, das ist nur schwer auszuhalten. Wir brauchen endlich eine Perspektive.“ (Protokoll: H.-J. Delonge)