Interview Mobilitätsexperte in NRW: "Wir lassen Infrastruktur vergammeln"

Mobilitätsexperte Ferdinand Dudenhöffer über den Trend zu breiten Autos, den Kampf um reine Luft und die Versäumnisse der Landesregierung in NRW.

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Herr Dudenhöffer, in der Schweiz erwägt man, wegen der vielen SUV die Fahrspuren zu verbreitern. Kommt das auch auf uns zu?

Ferdinand Dudenhöffer: Zumindest an Baustellen muss man darüber nachdenken. Ober man muss die Überholspur kontrollieren, damit die überbreiten Pkw dort nicht fahren. Irgendwie wird man auch in Deutschland reagieren müssen, denn der Trend ist klar.

Sie plädieren dafür, dass Fahrer breiterer Autos auch mehr zahlen.

Dudenhöffer: Sie brauchen zum Beispiel im Parkhaus mehr Platz. Man könnte die Umrisse des Fahrzeugs an der Einfahrtschranke messen — das ist mit Laser nicht sonderlich kompliziert. Dann gibt es extrabreite Parkplätze für die Dickschiffe — aber sie zahlen auch mehr. Ähnlich bei der Versicherung: Da zahlt man ja immer für ein Risiko. Ist dieses bei breiteren Fahrzeugen höher, sollten die Halter auch da mehr zahlen.

Warum wollen so viele Menschen SUV fahren, wenn es doch nie durchs Gelände geht?

Dudenhöffer: In Deutschland liegt der Anteil bei den Neuwagen bei 30 Prozent und das wird weiter steigen. In den USA sind es über 50 Prozent. Die Autos wirken schicker, sportlich, aber sie sind bequem, ermöglichen einen einfachen Einstieg. Und zumindest subjektiv vermitteln sie Sicherheit — wobei sie objektiv für andere, etwa Radfahrer, unsicherer sind.

Aber nicht nur die Geländewagen werden laut Ihrer Forschung ja breiter und länger, sondern sogar Kleinwagen wie Golf und Corsa. Wieso das denn?

Dudenhöffer: Wir haben das in der Tat über einen sehr langen Zeitraum beobachtet. Mehr Platz macht offenbar mehr Spaß und schafft Raum für Luxus. Wenn dann ein Anbieter sein neues Modell breiter macht, muss der andere beim nächsten Modell mitziehen. Das ist ein Lemmingeffekt. Der erste VW Golf war 1,610 Meter breit. Der heutige Golf 7 misst 1,799 Meter.

Einerseits streiten wir also über reine Luft in den Städten und fahren andererseits immer breitere Wagen. Wie passt das zusammen?

Dudenhöffer: Auch Elektrofahrzeuge können ja große Kisten sein — denken Sie an das Model X von Tesla. Das ist nicht die direkte Ursache für jetzt drohende Fahrverbote in den Innenstädten. Die kommen daher, dass die Politik zehn Jahre lang die Augen zugemacht hat. Düsseldorf wird seit Jahren abgemahnt. Jedes Jahr, und immer wurde es ignoriert. Große Autos brauchen mehr Energie — das ist richtig. Aber das geht auch sauber.

Und dass sie heute nicht sauber sind, machen Sie der Politik zum Vorwurf?

Dudenhöffer: Da wurden Vorschriften gemacht, wie die Luft sein soll — und jetzt will man Gerichte überzeugen, dass es Unrecht ist, Fahrverbote zu verhängen, um diese Vorschriften zu erfüllen. Ich finde es seltsam, wie NRW da reagiert. Es gibt drei Wege, mit dem Problem im Jetzt umzugehen: Hamburg und Stuttgart haben das Problem anerkannt und die Konsequenzen gezogen. In NRW wird irgendwas getan, von dem man nicht weiß, was es bringt — und die Gerichte sollen bitte anerkennen, dass die Grenzwerte eben nicht einzuhalten sind. Am frechsten allerdings ist Bayern: Da zahlt man einfach die Strafe und gut ist es.

Sehen Sie einen Ausweg?

Dudenhöffer: Es ist über Jahre hinweg so viel Zeit vertan worden mit Diskussionen um Software-Updates für die Dieselfahrzeuge. Aber ohne die Hardware geht es nicht. Warum ist Herr Laschet nicht längst in Berlin und fordert die Hardware-Nachrüstung per Gesetz? NRW ist das größte Bundesland. Ich verstehe das nicht. Aber ich glaube, das Risiko ist groß, dass die Umwelthilfe vor Gericht erfolgreich ist, dass Düsseldorf und die Landesregierung dann dumm dastehen. Dann hilft nur noch Kommunikation mit den Pendlern: Entweder müssen sie auf Ausweichrouten um die Innenstadt oder sie bekommen Geld für ein neues Auto. Punkt.

Wo sehen Sie ansonsten die großen Herausforderungen in NRW?

Dudenhöffer: Jetzt wird ja viel gebaut, aber es reicht nicht. Die Stausituation ist erheblich. Aber es geht nicht nur um die Straßen: Wenn man am Duisburger Hauptbahnhof ankommt, glaubt man ja, der Zweite Weltkrieg sei noch nicht vorbei. Wir haben über lange Zeit die Infrastruktur vergammeln lassen.

Was soll die Landespolitik dagegen tun?

Dudenhöffer: Jetzt kann man nur noch seiner Zeit hinterherlaufen. Das ist hier leider oft so: Warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Hier? Also ein deutsches Problem?

Dudenhöffer: Es gibt gute Ansätze im Ausland. London zum Beispiel hatte ein großes Verkehrsproblem — also wurde eine City-Maut eingeführt. In Deutschland hat man so viel Zeit vergeudet mit der Diskussion um die Pkw-Maut, die gar nichts bringt — aber inzwischen hat Herr Dobrindt nichts anderes gemacht und Deutschland drei Jahre nach hinten geworfen. Schauen Sie sich Amsterdam an, wo das Parken in der Innenstadt unglaublich teuer ist — aber für Elektroautos gratis. Oder fahren Sie mal Bahn in Peking oder Shanghai. Die Züge fahren 250 km/h, Sitzplätze werden von Stewardessen zugewiesen.

Sind wir in Deutschland zu wenig visionär?

Dudenhöffer: Wir sprechen zu wenig grundsätzlich über Infrastruktur. Die Politik neigt zu kurzfristigen Lösungen. Mit Rente und Kindergärten bekommt sie auch mehr Stimmen als mit Plänen für die Infrastruktur von übermorgen.

Das klingt nach einem unauflösbaren Dilemma.

Dudenhöffer: Vorbild ist einmal mehr die Schweiz mit einer Top-Infrastruktur — auf der Straße wie auf der Schiene. Der Straßenbaubetrieb dort bekommt seinen Etat direkt aus der Mineralölsteuer. Damit ist er aus dem politischen Prozess vollkommen herausgelöst. Er kann stabil planen und langfristig — nicht wie bei Straßen NRW, wo plötzlich am Ende des Jahres Baustellen überall aufgemacht werden, weil noch Geld da war.

Können Sie einen Ausblick auf den Verkehr der Zukunft geben?

Dudenhöffer: Wir beschäftigen uns viel mit Künstlicher Intelligenz und selbstfahrenden Autos. Wir gehen davon aus, dass wir künftig weniger private Fahrzeuge in den Städten haben, dafür Robotertaxis. So sind die Menschen 100 Prozent mobil ohne eigenes Auto. Ein Szenario zur Weiterentwicklung des ÖPNV sind zudem Sammelbusse, die Fahrgäste vor der Tür abholen und dort wieder hinbringen. Ohne Fahrer wäre das auch ein potenzieller privater Markt — denn die Fahrer sind eben das, was am meisten kostet.

Über welchen Zeitrahmen sprechen wir hier?

Dudenhöffer: In Europa 15 Jahre. In China fünf Jahre.

Oha! Das klingt, als hinkten wir arg hinterher.

Dudenhöffer: Daimler und andere Firmen testen selbstfahrende Autos in China schon im normalen Straßenverkehr. Dafür braucht man ein gutes Netz, denn die Autos müssen ja ständig kommunizieren. 5G wird in China bis 2025 flächendeckend ausgerollt — wir kämpfen hier gegen Funklöcher. Wir sind weit hinterher!