Nach IWF-Aufstockung: Europa unter Zugzwang
Washington (dpa) - Europa steht trotz eines zweiten Billionen-Rettungsschirmes gegen die Schuldenkrise weiter unter Zugzwang. Andere Industrie- und Schwellenländer mahnten auf der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusätzliche Schritte gegen die Krise an.
US-Finanzminister Timothy Geithner forderte Europa am Samstag in Washington auf, „seine Werkzeuge und Prozesse kreativ, flexibel und aggressiv zu nutzen.“ Dagegen sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch die anderen Länder außerhalb der Euro-Zone in der Pflicht.
Schäuble forderte von den G20-Partnerländern, die Zusagen beim Schuldenabbau und der Finanzmarktregulierung einzuhalten. „Nicht nur Europa steht vor großen finanzpolitischen Herausforderungen“, sagte er dem Lenkungsausschuss des IWF laut einem Redemanuskript. Nach der Sitzung bekräftigte er, Europa habe seinen Beitrag geleistet und sei geschlossen aufgetreten. Doch er räumte auch ein, dass die Krise noch nicht ausgestanden sei: „Wir sind nicht überm Berg, aber wir sind vorangekommen.“
Die Rufe nach stärkerer Krisenbekämpfung folgten dem Beschluss der G20 vom Freitag, die Feuerkraft des IWF für taumelnde Länder weltweit um gut 430 Milliarden Dollar aufzustocken. Damit wird neben dem höheren Schutzwall um die Euro-Länder ein weiterer Rettungsschirm im Umfang von einer Billion US-Dollar aufgespannt. IWF-Chefin Christine Lagarde bezeichnete den Schritt als „extrem wichtig“, da die Eurokrise globale Ansteckungsrisiken berge.
Schäuble zeigte sich nach der Einigung erleichtert. „Das zeigt, dass wir ein großes Maß an Solidarität haben in der Weltgemeinschaft, um in Krisensituationen handlungsfähig und reaktionsfähig zu sein“, sagte er. Die USA als größter IWF-Anteilseigner beteiligen sich allerdings nicht an der Aufstockung. Sie hatten das schon vorab damit begründet, dass Europa genügend eigene Mittel habe und der IWF auch ohne frisches Geld gut bestückt sei. Schäuble sagte, der Beitrag der USA sei gewesen, die Mittelaufstockung nicht verhindert zu haben.
Widerstand war auch von Schwellenländern gekommen, die mehr Mitspracherecht bei dem Fonds fordern. Erst in letzter Minute machten Brasilien, Indien, China und Russland Zusagen, allerdings ohne Summen offenzulegen. Die aufstrebenden Mächte hätten klar darauf gedrängt, dass die 2010 verabschiedete Quotenreform zu ihren Gunsten wie geplant zum Herbst umgesetzt werde, sagte Lagarde. Die Einhaltung dieses Ziels forderte am Samstag auch der IWF-Lenkungsausschuss in seiner Abschlusserklärung. Deutschland halte seine Zusagen bei der Neuverteilung der Stimmrechte ein, sagte Schäuble.
Nach Darstellung der Bundesbank könnte die Finanzspritze für den IWF sogar noch größer ausfallen. Es gebe weitere Absichtserklärungen von Ländern, die aber vorerst nicht genannt werden wollten, sagte Bundesbank-Präsident Jens Weidman. Er betonte, mit den vereinbarten zusätzlichen Kreditlinien seien die „wesentlichen Anforderungen“ erfüllt worden. Die Bundesbank hatte unter anderem darauf gepocht, dass die Mittel für Notkredite allen IWF-Mitgliedsländern zur Verfügung stehen. Von den 150 Milliarden Euro aller Euro-Länder insgesamt für zusätzliche Ressourcen steuert Deutschland über die Bundesbank rund 41,5 Milliarden bei.
Kritik im eigenen Land musste sich der britische Schatzkanzler George Osborne gefallen lassen. Ihm wurde vorgeworfen, er binde Steuerzahler an mögliche weitere Rettungszahlungen für problemgeplagte Länder der Eurozone. Sein Land beteiligt sich mit zehn Milliarden Pfund (11,8 Mrd Euro) an der Aufstockung.
Der größere Schutzschirm könne weitere Anstrengungen in Europa nicht ersetzen, sagte der Vorsitzende des IWF-Lenkungsausschusses, Singapurs Finanzminister Tharman Shanmugaratnam: „Wenn die Reformen (Europas) an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn die Reformen an Fahrt verlieren, dann ist die Brandmauer ehrlich gesagt nicht genug“, sagte er. Alles hänge vom europäischen Engagement ab.
Die Krise privater und öffentlicher Schulden sei nicht länger ein Problem, das mit größeren Schutzschirmen und einer aktiveren Notenbank bekämpft werden könne, meinte auch EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen am Freitagabend (Ortszeit). Man solle nicht auf eine Wunderwaffe hoffen, die nicht existiere. Stattdessen seien „konsistente und entschlossene Reformen“ nötig.
Der Schutzwall des IWF wird auch nach Ansicht des Finanzökonomen und Regierungsberaters Clemens Fuest überschätzt. „Einerseits ist es zwar sinnvoll, einem Land zu helfen, wenn die Märkte verrücktspielen und die Zinsen für Staatsanleihen irrational ansteigen“, sagte Fuest der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag). „Andererseits hat Europa die EZB, und genau deshalb ist die große Panik um Spanien bislang ausgeblieben.“ Die Märkte wüssten, dass die Europäische Zentralbank eingreifen würde.
EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte in Washington bekräftigt, die Euro-Zone erfülle ihre Verpflichtungen bei der Bewältigung der Krise. Spanien mache Fortschritte bei „tiefgreifenden und mutigen Reformen“ im Bankensektor und auf dem Arbeitsmarkt. Dies gelte auch für Italien. Von dort kamen positive Reaktionen auf die IWF-Aufstockung: Der stellvertretende Wirtschaftsminister Vittorio Grilli nannte die Vereinbarung von Washington zufriedenstellend. „Es ist eine bedeutende Summe“, sagte er.