Volkswagen Neues Spitzenduo Pötsch/Müller soll VW aus der Krise führen
Wolfsburg (dpa) - Ein neues Führungsduo soll Europas größten Autobauer Volkswagen aus seiner bislang schwersten Krise steuern. Der 20-köpfige Aufsichtsrat wählte den Österreicher Hans Dieter Pötsch in Wolfsburg zu seinem neuen Vorsitzenden.
Bereits in der vergangenen Woche hatte das Gremium den früheren Porsche-Chef Matthias Müller zum Konzernchef berufen. Der Autobauer legte indes dem Kraftfahrt-Bundesamt fristgerecht einen Zeit- und Maßnahmenplan vor, wie der Konzern den weltweiten Skandal um manipulierte Abgas-Werte bei Diesel-Fahrzeugen bewältigen will.
Pötsch löst den übergangsweise amtierenden Berthold Huber ab. Der frühere IG-Metall-Chef hatte den Posten im Frühjahr von Ferdinand Piëch übernommen. Der VW-Patriarch war damals nach einem verlorenen Machtpoker mit Winterkorn zurückgetreten.
„Es ist mir ein persönliches Anliegen, alles zu tun, damit die Vorgänge restlos ausgeklärt werden“, sagte Pötsch nach der Sitzung in Wolfsburg. Er sei sich der besonderen Verantwortung dabei bewusst.
Die Bundesregierung bestätigte indes die fristgerechte Vorlage des bei VW angeforderten Zeit- und Maßnahmenplans zur Aufarbeitung des Skandals. In dem Schreiben werde von einer Rückrufaktion gesprochen, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Abend.
VW plant demnach für die von Manipulationen betroffenen 2-Liter-Autos eine Software-Lösung, bei den 1,6-Liter-Motoren sei „mit großer Sicherheit“ zusätzlich eine motortechnischqe Anpassung nötig. Das Kraftfahrt-Bundesamt benötige nun einige Tage Zeit, um die Pläne zu prüfen. Es werde dann „eine unabhängige Entscheidung über die von Volkswagen umzusetzenden Maßnahmen treffen und diese gegenüber Volkswagen anordnen“.
Zuvor hatte der neue VW-Chef Müller der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwoch) gesagt, der Rückruf der betroffenen Fahrzeuge solle im Januar starten und bis Ende 2016 abgeschlossen sein. Dazu wollte sich der Ministeriumssprecher nicht äußern.
Pötschs bisherigen Posten als VW-Finanzchef übernimmt - ebenfalls wie erwartet - ab sofort der bisherige Vorstandsvorsitzende der VW-Finanztochter, Frank Witter. Der Aufsichtsrat folgte auch bei dieser Personalie den Empfehlungen seines Präsidiums. Huber soll nach dem Gewerkschaftstag der IG Metall vom designierten neuen IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im VW-Aufsichtsrat abgelöst werden, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Gewerkschaftskreisen erfuhr.
Wie zuvor schon der neue VW-Chef Müller bat auch Pötsch bei der Aufklärung der Abgas-Affäre um Geduld: „Mit Mutmaßungen oder vagen vorläufigen Sachständen ist aber niemanden gedient. Deshalb wird es noch einige Zeit dauern, bis gesicherte und belastbare Ergebnisse vorliegen und wir Sie umfassend informieren können.“
Vor VW lägen große Herausforderungen, betonte Pötsch. „Wir müssen die aktuelle Krise bewältigen, wir müssen aber auch dafür Sorge tragen, dass sich der Volkswagen-Konzern erfolgreich weiterentwickeln kann, in einer Industrie, die sich fundamental verändert wie nie zuvor.“
Volkswagen brauche deshalb Veränderungen bei den Strukturen, bei den Entscheidungsprozessen und in der Zusammenarbeit. „Darin sind sich alle Beteiligten einig. Das gehen wir gemeinsam an, und deshalb kann und wird Volkswagen gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen.“
Der Wahl von Pötsch war ein Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vorausgegangen. Am Morgen hatte das Gericht Pötsch per Beschluss - befristet bis zur nächsten, noch nicht terminierten Hauptversammlung - zum Mitglied des Kontrollgremiums ernannt. Dort soll dann, wie bereits von Aktionärsvertretern verlangt, die offizielle Wahl durch die stimmberechtigten Anteilseigner nachgeholt werden.
Die Personalie war im Aufsichtsrat bis zuletzt umstritten. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen hatte Pötschs nach wie vor ungeklärte Rolle bei den bisherigen Verfehlungen für großen Gesprächsbedarf unter den Mitgliedern gesorgt. Am Ende setzte sich aber die Familie Porsche/Piëch mit ihrer Forderung zugunsten des 64-Jährigen durch.
Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil verteidigte die Wahl. „Wir sind überzeugt davon, dass Herr Pötsch aufgrund seiner großen Erfahrung und seines strategischen Weitblicks an dieser Stelle der richtige Aufsichtsratsvorsitzende ist“, sagte der SPD-Politiker. Entscheidend sei, dass „die Handlungsfähigkeit von Volkswagen“ in der Krise gestärkt werde.
Für Pötsch muss auf der Kapitalseite des Aufsichtsrates Julia Kuhn-Piëch ihren Platz räumen. Die Nichte von Ferdinand Piëch war im Mai nach dessen Rücktritt übergangsweise in das Gremium aufgerückt.
„Wir danken Herrn Pötsch sehr, dass er sich in schwierigen Zeiten bereiterklärt hat, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen“, sagte Co-Aufsichtsrat und Großaktionär Wolfgang Porsche. Pötsch zeichne sich durch „strategische Weitsicht, tiefe Kenntnisse der Automobilindustrie und große Expertise an den Finanzmärkten“ aus.
In den USA wandte sich VW mit Entschuldigungsschreiben an enttäuschte Kunden. „Volkswagen hat Ihr Vertrauen verletzt. Ich kann Ihren Ärger und Frust voll und ganz verstehen und nachvollziehen“, heißt es in dem von Volkswagen-US-Chef Michael Horn unterzeichneten Schreiben. Horn muss an diesem Donnerstag in einem Ausschuss des US-Kongresses zu der Affäre Rede und Antwort stehen.
In Deutschland reichte derweil erstmals auch ein VW-Kunde Klage gegen den Konzern ein. Die Besitzerin eines Autos der „Blue Motion“-Reihe wolle den Wagen zurückgeben, weil sie sich in ihrer Erwartung, ökologisch unterwegs zu sein, enttäuscht sehe, betonten ihre Anwälte.
In der vorigen Woche hatte ein Privatanleger aus Baden-Württemberg eine Schadenersatz-Klage eingereicht. Inzwischen sind nach Angaben mehrerer Kanzleien weitere Sammelklagen auf den Weg gebracht worden.