Marode Schienennetze Noch mehr Verspätungen in Sicht - Die Bahn baut bald überall
Berlin · Bund stockt Mittel zur Sanierung des maroden Netzes massiv auf – Allein 2.000 Brücken müssen erneuert werden
Rekordmittel für die Bahn. Der Bund und das Verkehrsunternehmen wollen das 33.000 Kilometer lange, teils stark veraltete und überlastete Schienennetz in den nächsten zehn Jahren mit insgesamt 86 Milliarden Euro sanieren. Das dürfte kurzfristig zu sehr vielen Baustellen und noch mehr Verspätungen führen, gilt aber als unabdingbar, um den Zugverkehr schneller und zuverlässiger zu machen.
Mit der neuen „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung“, auf die sich Bahn und Finanzministerium jetzt einigten, werden die wesentlichen Forderungen der Bahnspitze erfüllt. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bestätigte die Zahlen und sprach vom „größten Modernisierungsprogramm für die Bahn, das es je gab“. Jetzt können sieben bis acht Milliarden Euro jährlich ausgegeben werden statt der 5,5 Milliarden Euro, die es zuletzt gewesen waren. Wie bisher steuert die Bahn auch Eigenmittel bei. Insgesamt aber gibt der Bund rund Zweidrittel des Geldes.
Positiv reagierte SPD-Verkehrsexperte Sören Bartol auf die Nachricht. „Das hilft, das Ziel zu erreichen, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln und dabei pünktlicher zu werden“, sagte er auf Anfrage. Bartol widersprach dem Eindruck, dass der Bund gegenüber der Bahn besonders großzügig sei. „Hier wird kein Manna ausgeschüttet; das ist einfach notwendig, um die Infrastruktur zu erhalten“. Besonders begrüßte Bartol, dass die Vereinbarung nun zehn statt fünf Jahre gelten soll. „Das schafft Planungssicherheit“. Auch sein Unionskollege Ulrich Lange hob diesen Punkt hervor.
Die 86 Milliarden gehen ausschließlich in den Erhalt des Netzes und sollen den Sanierungsstau auflösen. So müssen rund 2000 Brücken erneuert werden, darunter viele größere. Etliche sind mehr 100 Jahre alt. Dazu kommt die Erneuerung von Gleisen und Stellwerken. Weil jahrelang wenig in das Netz investiert wurde, gibt es viele Langsamfahrstellen. Das Netz gilt als überlastet. Die Passagierzahlen im Fernverkehr stiegen im letzten Jahr auf den Rekordwert von 148 Millionen, Tendenz weiter nach oben.
Bahnchef Richard Lutz hatte deshalb immer wieder von „Wachstumsschmerzen“ gesprochen und den Sanierungsstau mitverantwortlich für die Probleme bei der Pünktlichkeit gemacht. Diese lag im ersten Halbjahr mit 77,2 Prozent sogar noch unter dem schon schlechten Vergleichswert des Vorjahres (77,4 Prozent).
Nach heftiger Kritik und diversen Bahngipfeln mit Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte Lutz Anfang des Jahres einen Fünf-Punkte-Plan präsentiert. Neben dem jetzt beschlossenen Sanierungsprogramm enthält er massive Investitionen des Unternehmens aus Eigenmitteln in neue Züge und Personal. Allein in diesem Jahr soll es 22.000 Neueinstellungen geben. Zur Finanzierung soll die britische Tochter „Arriva“ verkauft werden, was vor dem Hintergrund des Brexit derzeit jedoch Schwierigkeiten bereitet. Der Bund bezuschusst außerdem mit 570 Millionen Euro die Digitalisierung des Netzes, mit der die Züge schneller und enger getaktet fahren sollen. Zusätzlich finanziert er über den Verkehrswegeplan Neubaustrecken und die Beseitigung von Engpässen, um mittelfristig einen festen „Deutschlandtakt“ zu schaffen. Allein nächstes Jahr sind dafür 6,8 Milliarden Euro eingeplant.
Skeptisch äußerte sich der Grünen-Bahnexperte Michael Gastel. Zwar begrüßte auch er gegenüber unserer Redaktion die Anhebung der Mittel und die Langfristigkeit des Plans, verwies aber auf andere Risiken. So hätten sich im Brückenbau allein in den letzten drei Jahren die Preise verdoppelt. Es bestehe die Gefahr, dass sich das jetzt noch beschleunige. Um den Preisanstieg zu dämpfen, müsse der Bund im gleichen Atemzug Investitionen im Straßenbau zurückfahren. „Sonst“, so Gastel, „wird auch die neue Summe nicht ausreichen und sich der Verfall der Bahninfrastruktur sogar weiter beschleunigen“.