Wirtschaft OECD-Bericht: From Paris with love

Angela Merkel muss sich jetzt auch von der OECD den Vorwurf der Reformmüdigkeit anhören.

José Ángel Gurría (M), Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Álvaro Santos Pereira (r), Direktor der Abteilung Länderstudien im OECD Wirtschaftsdepartment, und Andreas Wörgötter, Mitarbeiter der Abteilung Länderstudien im OECD Wirtschaftsdepartment, stellen am 05.04.2016 bei einer Pressekonferenz in Berlin den OECD Wirtschaftsbericht Deutschland 2016 vor.

Foto: Bernd Von Jutrczenka

Berlin. Ob durch Wirtschaftsinstitute oder den Sachverständigenrat, ständig wird Deutschlands Leistungsfähigkeit begutachtet. Alle zwei Jahre auch von der OECD. Vorteil dieser in Paris ansässigen Organisation, der 34 marktwirtschaftlich orientierte Nationen angehören: Sie vergleicht die Konzepte ihrer Mitgliedsstaaten und gibt nach dem Grundsatz des "besten Beispiels" (best practice) Ratschläge. Deutschland hat sich in der Vergangenheit freilich längst nicht an alle gehalten und muss sich nun Reformmüdigkeit vorwerfen lassen.

Wie steht Deutschland wirtschaftlich im internationalen Vergleich da?

Eigentlich absolut top. Deutschland habe die niedrigste Arbeitslosigkeit im Euroraum und große Exporterfolge, sagte OECD-Generalsekretär José Angel Gurria, ein gebürtiger Mexikaner, am Dienstag in Berlin. Er sprach von "beeindruckenden Zahlen". Für nächstes Jahr rechnet er mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent nach 1,3 Prozent in diesem Jahr. Gurria beklagte aber mangelnde Investitionen und Reformmüdigkeit in Deutschland. "Reformen sind eine Geisteshaltung", sagte er. "Sie enden niemals". Deutschland solle nicht nur ein erfolgreiches Exportland bleiben, sondern müsse auch zu einer dynamischen Dienstleistungsgesellschaft werden, sagte Gurria. Der Bericht ist damit auch eine Mahnung an Kanzlerin Angela Merkel, die Gurria zusammen mit anderen Chefs internationaler Organisationen am Dienstagabend im Kanzleramt traf.

Welche Mängel nennt die OECD?

Vor allem, dass sich das Wachstum der Produktivität stark abgeschwächt hat. Im Dienstleistungssektor liege es sogar nur noch bei 0,5 Prozent gegenüber 2,0 Prozent vor der Wirtschaftskrise von 2008. Im Detail nennt der Bericht die schlechte Versorgung mit Glasfaserkabeln für schnelles Internet. In Deutschland sind nur ein Prozent der Haushalte so angebunden, in Japan sind es 65 Prozent. Kritisiert wurden auch die zu geringen Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur. Die Verdienstkluft zwischen Frauen und Männern bemängelte die OECD besonders scharf, ebenso die zu geringe Beschäftigungsquote Älterer. Auch seien die Bildungserfolge von zugewanderten Schülern im Vergleich zu im Inland Geborenen schlecht.

Was wird der Bundesregierung geraten?


Die OECD steht generell für liberale Konzepte in der Wirtschaftspolitik, verlangt aber zugleich immer auch soziale Gerechtigkeit und gleiche Bildungschancen. So forderte die Organisationam Dienstag mehr Wettbewerb im deutschen Apothekenmarkt, das Ende der Pflichtmitgliedschaft in Berufskammern und weniger Regulierungen bei freien Berufen. Außerdem forderte sie, für Zweiteinkommen eigene steuerliche Freibeträge einzuführen, damit vor allem Frauen mehr verdienen. Zudem müsse es mehr Kitaplätze geben. Auch die Beschäftigung älterer Menschen will die OECD erleichtern, unter anderem durch bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten bei gleichzeitigem Rentenbezug. Den Mindestlohn hatte die Organisation schon früher gefordert und lobte nun, dass dieser jetzt eingeführt sei.

Was schlägt die Organisation zum Umgang mit den Flüchtlingen vor?

Es gebe drei wichtige Aufgaben in diesem Bereich, sagte Gurria: "Integration, Integration und Integration". Die Flüchtlinge seien für Deutschland eine große Chance zur Bewältigung des demografischen Problems. Die Investitionen in sie würden sich zwar erst nach Jahren bezahlt machen, doch müssten die Maßnahmen schon jetzt beginnen: Leichtere Anerkennung von Berufsabschlüssen, leichtere Zugänge zum Arbeitsmarkt und mehr Anstrengungen für Bildung und Ausbildung der Zugewanderten. Gurria lobte zwar Deutschlands Haushaltspolitik, meinte aber zugleich, dass es eine "gewisse Flexibilität" für Mehrausgaben geben müsse - er zielte damit offenbar gegen die von Finanzminister Wolfgang Schäuble verkündete schwarze Null. Gurria: "Wenn wir jetzt mehr Investitionen sähen, würde sich das auf das Wachstum positiv auswirken."

Der vollständige OECD-Bericht.