OECD und EZB sehen für deutsche Wirtschaft schwarz

Frankfurt/Main (dpa) - Schuldenkrisen und Verwerfungen an den Finanzmärkten hinterlassen im Euroraum immer deutlicher ihre Spuren: Die einst rosigen Konjunkturaussichten für 2011 und 2012 welken zusehends dahin.

Die EZB rechnet für beide Jahre mit deutlich geringerem Wachstum.

„Vor einem Monat waren die Wachstumsrisiken aus unserer Sicht ausgeglichen. Jetzt sehen wir Abwärtsgefahren für das Wirtschaftswachstum“, sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am Donnerstag in Frankfurt.

Die Notenbank rechnet für die Währungsunion mittlerweile nur noch mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 Prozent (Spanne von 1,4 bis 1,8 Prozent) im laufenden Jahr. Im Juni war die EZB noch von einem Plus von 1,9 Prozent ausgegangen. Auch für das kommende Jahr ist die Notenbank pessimistischer. Dann soll die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum nur noch um 1,3 Prozent (Spanne 0,4 bis 2,2 Prozent) zulegen. Zuletzt hatte die EZB noch ein Plus von 1,7 Prozent erwartet.

Der deutschen Wirtschaft droht nach Einschätzung der OECD zum Jahresende 2011 sogar ein Einbruch. Für die letzten drei Monate prognostizieren die Volkswirte der Industriestaaten-Organisation einen auf das Jahr hochgerechneten Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 1,4 Prozent. Gegenüber dem dritten Quartal 2011 entspricht dies einem „echten“ Minus von 0,3 Prozent. „Deutschlands Wachstum schwächt immer weiter ab“, sagte OECD-Chefökonom Pier Carlo Padoan in Paris.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hält Sorgen vor einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung aber für unbegründet. „Die Angst vor einer Rezession ist vollkommen unangebracht“, sagte der FDP-Chef im Bundestag. Trotz der leichten Abkühlung der Konjunktur im zweiten Quartal erwarte die Regierung in diesem Jahr ein Wachstum von 2,6 Prozent. Dazu komme eine grandiose Beschäftigung mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit seit 1992.

Sollten die am Donnerstag in Paris vorgestellten OECD-Prognosen eintreffen, wäre Deutschland im Schlussquartal 2011 die schwächste große Industrienation der Welt. Für Länder wie die USA, Frankreich oder Kanada sagen die Volkswirte noch Wachstum voraus. Die Regierungen in Washington und Paris können von Oktober bis Ende Dezember beispielsweise ein auf das Jahr hochgerechnetes Quartalswachstum von 0,4 Prozent erwarten.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) betonte bei der Vorstellung des Berichts, dass die Unsicherheit der jüngsten Prognosen relativ hoch sei. Insbesondere seien die Folgen der staatlichen Schuldenkrisen in Europa und den USA sowie der jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten noch nicht vollständig berücksichtigt.

Die OECD appellierte an die G7-Staaten, deren Finanzminister sich am Freitag und Samstag im französischen Marseille treffen, das Vertrauen der Märkte zurückzuerobern. „Das ist ihre oberste Pflicht: Sie haben ja auch dazu beigetragen, dass das Vertrauen verloren ging“, sagte Padoan. Mittelfristig bedeute dies in erster Linie die Konsolidierung des Haushalts. Deutschland gehe in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran, sei allerdings durch das gebremste Wachstum gefährdet.

Vor dem Hintergrund der wachsenden Rezessionssorgen und der anhaltenden Schuldenkrise dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) auf eine längere Zinspause zusteuern. Am Donnerstag beließen die Währungshüter in Frankfurt den Leitzins auf dem aktuellen Niveau von 1,5 Prozent. „Das Projekt Zinsnormalisierung liegt auf Eis - vermutlich für lange Zeit“, sagte Helaba-Ökonom Ulf Krauss. Dass die EZB nach zuletzt zwei Zinserhöhungen die Rolle rückwärts einlegt und demnächst die Zinsschraube wieder lockert, gilt auch als unwahrscheinlich.

Aus der deutschen Wirtschaft kommen gemischte Signale zur konjunkturellen Entwicklung. Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer rechnen auch für das kommende Jahr noch mit einem Produktionswachstum. Derweil sind die deutschen Exporte im Juli zum zweiten Mal in Folge gesunken.

Das Wachstum des Maschinenbaus werde sich allerdings von Monat zu Monat abschwächen, erklärte der Präsident des Branchenverbandes VDMA, Thomas Lindner, in Frankfurt. Die Produktion werde 2012 um weitere 4 Prozent auf rund 197 Milliarden Euro steigen und damit das Vorkrisen-Rekordjahr 2008 leicht übertreffen. Für 2011 bestätigte der Verband seine Prognose von 14 Prozent Zuwachs auf 188 Milliarden Euro. Die Anlagen seien mit fast 90 Prozent überdurchschnittlich ausgelastet. In der Branche entstehen laut VDMA in diesem Jahr 20 000 neue Jobs, so dass zum Jahresende dort 933 000 Menschen arbeiten.

Im Monatsvergleich gingen die Ausfuhren im Juli kalender- und saisonbereinigt um 1,8 Prozent zurück, wie das Statistische Bundesamt Wiesbaden mitteilte. Volkswirte hatten hingegen mit einem Anstieg um 0,5 Prozent gerechnet. Im Juni hatten die Exporte bereits um 1,2 Prozent nachgegeben.

Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Ausfuhren im Juli zwar um 4,4 Prozent. Die Einfuhren kletterten mit 9,9 Prozent jedoch mehr als doppelt so stark. „Die weltweit nachlassende Wirtschaftsdynamik schlägt sich im zweiten Monat in Folge negativ in den Büchern der deutschen Exportwirtschaft nieder, erklärte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA), Anton Börner in Berlin.