Kampf um Schadenersatz Schlappe für Telekom vor Gericht - Etappensieg für Aktionäre
Frankfurt/Main (dpa) - 16 Jahre nach dem dritten Börsengang und 12 Jahre nach dem ersten Prozess warten T-Aktien-Käufer immer noch auf Schadenersatz für erlittene Kursverluste.
Am Mittwoch hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt anhand eines Musterfalls festgestellt, dass der Bonner Dax-Konzern schwerwiegende Fehlinformationen im Verkaufsprospekt aus dem Jahr 2000 zu verantworten hat - ein Etappensieg für die rund 16 000 klagenden Kleinaktionäre. Die juristische Lage bleibt aber komplex.
Worüber mussten die Frankfurter Richter entscheiden?
Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) im Oktober 2014 höchstrichterlich festgestellt hatte, dass der Verkaufsprospekt der Telekom einen schwerwiegenden Fehler enthielt, wurde das Musterverfahren erneut nach Frankfurt zurückverwiesen. Das OLG musste prüfen, ob die Telekom für den Fehler verantwortlich war (Verschulden) und ob dieser Fehler Einfluss auf die Anlegerentscheidung hatte (Kausalität). Diese beiden Rechtsfragen hatte derselbe OLG-Senat unter Vorsitz von Birgitta Schier-Ammann bei seinem ersten Entscheid aus dem Jahr 2012 nicht geklärt, weil er in der ersten Instanz keinen Fehler in dem Börsenprospekt gesehen hatte.
Was war das für ein Fehler?
Wichtigste Grundlage für den Börsenprospekt war die Telekom-Bilanz für das Jahr 1999. Dort findet sich ein Buch-Gewinn von 8,2 Milliarden Euro aus der Veräußerung von Anteilen am US-Konkurrenten Sprint. Diese Beteiligung wurde aber nicht verkauft, sondern nur an die konzerneigene US-Beteiligungsgesellschaft NAB „umgehängt“. Im Börsenprospekt für die T-Aktie war aber an zwei Stellen von einem „Verkauf“ der Sprint-Anteile die Rede, obwohl sie noch im Konzern verblieben waren. Die damit verbundenen Milliardenrisiken tauchten erst später auf. Der BGH kam zu dem Schluss, dass die Telekom die Besitzverhältnisse an dem US-Mobilfunker „bewusst verschleiert“ habe - eine klare Vorgabe an die Frankfurter Richter.
Was haben die Frankfurter OLG-Richter jetzt entschieden?
In dem erneuten Verfahren hat sich die Beweislast umgekehrt. Die Telekom konnte nicht beweisen, dass sie für den Fehler nicht verantwortlich war. Vor allem vermochte der Konzern nicht schlüssig zu erklären, wie das Wort „Verkauf“ in den Prospekt gekommen ist. Die Telekom hat den Fehler folglich verschuldet. Negativer für die Kläger ist die Einschätzung des OLG, dass der Einfluss des Prospektfehlers auf den Anleger nur im Einzelfall zu klären sei.
Erhalten die Kläger jetzt Schadenersatz?
Nein, sie werden sich voraussichtlich weitere Jahre gedulden müssen. Zunächst einmal haben beide Seiten Gelegenheit, die Entscheidung vom Mittwoch erneut beim BGH überprüfen zu lassen. Bestätigen die Karlsruher Richter die Auffassung der individuellen Überprüfung jedes Anlegers, droht ein Justiz-Chaos am Landgericht Frankfurt. Dort lagern die rund 12 000 Einzelklagen von rund 16 000 T-Aktionären, die dann alle einzeln durchentschieden werden müssten.
Was hat denn das Landgericht Frankfurt mit der Sache zu tun?
Dort sind die massenhaften Klagen seit 2001 eingegangen und dort fand auch der erste Prozess im Jahr 2004 statt. Der ging dann über in den ersten deutschen Anlegerschutzprozess nach dem eigens geschaffenen Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG), dem deutschen Gegenstück zur US-Sammelklage. Zur Beschleunigung sollten anhand einer Musterklage alle wichtigen Rechtsfragen von der nächsthöheren Instanz, dem OLG, vorgeklärt werden. Heißt im Umkehrschluss: Nach Abschluss des KapMug muss die erste Instanz nach diesen Grundsätzen jedes Urteil einzeln ausurteilen.
Was wäre dann genau zu tun?
Bei jeder Klage müsste zunächst geklärt werden, ob der Börsenprospekt bei der Kaufentscheidung eine Rolle gespielt hat. Anschließend müsste zudem individuell der Schaden berechnet werden. Klägeranwalt Andreas Tilp hat an die Telekom appelliert, spätestens nach der zweiten BGH-Entscheidung die Niederlage einzugestehen und endlich zu zahlen. Über die Höhe des Schadenersatz könne man sich möglicherweise vergleichen. Das OLG hat vorgegeben, dass die zwischenzeitlich gezahlten Dividenden auf den Schaden angerechnet werden müssten. Auf der anderen Seite sollten die Kläger für ihr eingesetztes Kapital gesetzliche Verzugszinsen erhalten. Die liegen jeweils 5 Punkte über dem Basiszins, so dass es mit der Zeit für die Telekom immer teurer würde, zumal die Ansprüche vererbt werden können.
Warum dauert die juristische Aufarbeitung des Falles so lange?
Das 2005 eingeführte KapMuG hat die Erwartungen in Sachen Schnelligkeit schwer enttäuscht und wurde bereits einmal reformiert. Tilp sieht aber den großen Vorteil der einstmaligen „Lex Telekom“ darin, dass sämtliche Kläger und ihre Anwälte in ein Verfahren gezwungen werden und ihre Erkenntnisse zusammenbringen müssen. „Ohne KapMuG wären die Telekom-Prozesse schon vor Jahren für die Kläger verloren gegangen“, meint der Anwalt. Im Vergleich zu den USA seien die deutschen Gesetze aber immer noch sehr anlegerfeindlich, weil den Anwälten weitgehende Ermittlungsbefugnisse fehlten. „Wir kommen nicht an die entscheidenden Beweise.“ In den USA hatte die Telekom in der selben Sache einen Vergleich über 120 Millionen Dollar gezahlt, um einer Sammelklage zu entgehen.