Schuldenkrise: Wirtschaft warnt vor Vermögensabgabe
Berlin (dpa) - Die deutsche Wirtschaft lehnt eine Vermögensabgabe zur Bewältigung der ausufernden Staatsschuldenkrise ab. „Die aktuell vorgeschlagenen Vermögensabgaben sind kontraproduktiv“, sagte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, der „Welt am Sonntag“.
Ein großer Teil des Privatvermögens sei in Unternehmen gebunden. „Die starke Wirtschaftsleistung des Industrielands Deutschland geriete in Gefahr, wenn seine produktive Substanz ausgezehrt würde“, warnte der BDI-Chef.
Auch Vertreter des Mittelstands wiesen Überlegungen zu einer Zwangsabgabe zurück, wie sie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ins Spiel gebracht hatte. Das würde die Eigentümer der Betriebe massenhaft ins Ausland treiben, sagte der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, Brun-Hagen Hennerkes. Viele Unternehmen seien bereits hoch belastet. Dringend notwendiges Eigenkapital dürfe nicht stärker besteuert und damit entzogen werden.
Das DIW hatte vorgeschlagen, Bürger mit Vermögen ab 250 000 Euro beziehungsweise 500 000 Euro bei Verheirateten über Zwangsanleihen für die Sanierung der öffentlichen Finanzen zur Kasse zu bitten. Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei begrüßten den Vorstoß ebenso wie Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Die Koalition schloss Steuererhöhungen zur Bekämpfung der Schuldenkrise aus. „Steuererhöhungen - ganz gleich, welcher Art - kommen für die Union nicht infrage“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder der „Welt am Sonntag“. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte, die Frage nach einer Sonderabgabe oder Zwangsanleihe für Vermögende stelle sich nicht. „Ein derartiger Lastenausgleich ist allenfalls ein Mittel für Notsituationen - davon ist unser Land weit entfernt“, sagte er der Tageszeitung „Die Welt“ (Montag).
Am Donnerstag wird der Bundestag voraussichtlich entscheiden, ob sich Deutschland an der milliardenschweren Rettungsaktion für die maroden spanischen Banken beteiligt. Das Land soll die Unterstützung - anders als Irland, Griechenland und Portugal - ohne Reformauflagen für seine Gesamtwirtschaft erhalten. Die Bedingungen beziehen sich nur auf den Bankensektor.
Nach Auffassung von Bundesbankpräsident Jens Weidmann sollte Spanien jedoch weitergehende Auflagen bekommen. „Bankbilanzen sind immer auch ein Spiegel der Gesamtwirtschaft“, sagte Weidmann der „Börsen-Zeitung“ (Samstag). In Spanien gebe es erheblichen Handlungsbedarf. „Auch auf den Anleihemarkt würde es sich positiv auswirken, wenn die Investoren sähen, dass die Auflagen des Hilfsprogramms über den Bankensektor hinausreichen“, sagte Weidmann. Dass ein breiter Reformansatz erforderlich sei, zeigten auch die Ankündigungen der spanischen Regierung.
Die stoßen allerdings zunehmend auf Widerstand im eigenen Land. Mit neuen Demonstrationen und möglicherweise einem zweiten Generalstreik wollen die Gewerkschaften UGT und CCOO gegen das harte Sparprogramm der Regierung in Madrid protestieren. Die nächsten Demonstrationen sind für den 19. Juli in rund 80 Städten geplant.
Laut „Spiegel“ soll das Banken-Hilfsprogramm über 100 Milliarden Euro in vier Tranchen ausgezahlt werden und eine Laufzeit bis maximal 2028 haben. Nach einem Papier der Führung des Rettungsfonds EFSF solle die erste Rate über 30 Milliarden Euro schon Ende Juli fließen. Zwei Drittel davon stünden demnach für Eigenkapitalspritzen an notleidende Kreditinstitute zur Verfügung. Die restlichen zehn Milliarden Euro dienten als „Sicherheitspuffer“.
Weitere Tranchen über jeweils 15 Milliarden Euro sollten Mitte November, Ende Dezember und Ende Juni 2013 fällig werden. Es sei zudem die Gründung einer Bad Bank für problematische Papiere vorgesehen. Diese Institution solle mit einem Kapital von bis zu 25 Milliarden Euro ausgestattet werden.
Deutschlands Ökonomen sind derweil über Wege aus der Krise weiter uneins. Einer der größten Streitpunkte bleibt der Umgang mit maroden Banken. „Wir brauchen eine einheitliche EU-Finanzmarktregulierung, einen Abwicklungsprozess für insolvente Banken und einen Rekapitalisierungsfonds für solche, die eine Perspektive haben“, forderte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower, in der „Welt“ (Samstag). Dazu sollte sich der Rettungsschirm ESM auch an Banken beteiligen können.
Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen warnte dagegen davor, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Bevor man sich auf eine Haftungsunion einlasse, müssten die notwendigen Bedingungen für eine gemeinsame Haftung erfüllt sein. „Bezahlt wird erst, wenn es die Regulierung gibt, nicht umgekehrt.“
Laut Berechnungen des Münchner ifo-Instituts haben Europäische Zentralbank, EU, Euro-Staaten und Internationaler Währungsfonds in den vergangenen fünf Jahren rund 1,53 Billionen Euro an Hilfen für Krisenstaaten zur Verfügung gestellt. „Geholfen hat es nicht. Die Krise geht weiter, weil ein Fass ohne Boden nicht gut zu füllen ist“, sagte ifo-Chef Hans-Werner Sinn.