Signal gegen Lohndumping in der Zeitarbeit
Erfurt (dpa) - Die Chancen Zehntausender Leiharbeiter auf eine bessere Bezahlung sind gestiegen.
Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt darf die Spitzenorganisation der Christlichen Zeitarbeitsgewerkschaften, der Billigverträge vorgeworfen wurden, künftig keine Tarifverträge mehr abschließen (1 ABR 19/10). Die obersten Arbeitsrichter sprachen am Dienstag der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) die Tariffähigkeit ab. Zur Gültigkeit bestehender CGZP-Verträge machte der Erste Senat zunächst keine Angaben.
Es sei jedoch zweifelhaft, dass die CGZP in der Vergangenheit tariffähig war, sagte BAG-Sprecher Christoph Schmitz-Scholemann der Nachrichtenagentur dpa. Die Chancen von Zeitarbeitern auf gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaften der entleihenden Unternehmen, hätten sich mit der Gerichtsentscheidung erhöht. Die Justiziarin der Gewerkschaft Verdi, Martina Trümner, vertrat die Ansicht, dass Leiharbeiter jetzt höhere Lohnansprüche für vergangene Jahre einklagen könnten. Der Vorsitzende der CGZP, Gunter Smits, bezweifelte, dass mit dem BAG-Urteil bestehende Tarifverträge hinfällig werden. Er schloss den Gang seiner Organisation vor das Bundesverfassungsgericht nicht aus.
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer erklärte: „Mit dem Urteil sind wir einen Schritt weiter auf dem langen Weg, Tarifdumping zu unterbinden.“ Nach Ansicht von Verdi können auch Sozialversicherungsbeiträge nun nicht mehr auf Basis der bisherigen Billigtarife erhoben werden. „Die Arbeitgeber können sich damit auf erhebliche Nachforderungen einstellen“, kündigte Verdi-Vize Gerd Herzberg an. Fachleute gehen dabei von einem Volumen möglicher Sozial-Nachzahlungen von einer halben Milliarde Euro pro Jahr aus. Rückforderungen seien für die vergangenen vier Jahre möglich, hieß es in Fachkreisen.
Auch nach Einschätzung der IG Metall können tausende Zeitarbeiter nachträglich gleichen Lohn einklagen. Außerdem seien nun die Sozialversicherungsträger am Zug, über Jahre hinweg nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge nachzufordern, erklärte der Justiziar der Gewerkschaft, Thomas Klebe. Es handele sich voraussichtlich um Millionenbeträge. „Mit diesem Beschluss steht fest, dass die mit der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam sind und alle danach bezahlten Beschäftigten Ansprüche auf gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitsbedingungen wie die Stammbeschäftigten haben“, sagte Klebe. Es müssten lediglich die individuellen Verjährungsfristen beachtet werden. Die Gewerkschaften wollen die Kläger unterstützen.
Die Entscheidung des BAG sei ein unübersehbares Signal an die Arbeitgeber, nicht länger Pseudogewerkschaften zum Lohndumping einzusetzen - weder in der Leiharbeit noch in anderen Bereichen, sagte Klebe.
Tarife der Christlichen Spitzenorganisation sollen nach Schätzungen für etwa 200 000 der bis zu 900 000 Zeitarbeiter in Deutschland abgeschlossen worden sein. Verdi-Vize Herzberg und Sommer forderten die Bundesregierung auf, gesetzliche Lösungen gegen Lohndumping in der Zeitarbeitsbranche zu schaffen. Seit längerem streitet die Bundesregierung über einen Mindestlohn für Leiharbeiter.
Das Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg als Vorinstanz hatte der christlichen Spitzenorganisation bereits im Dezember 2009 die Tariffähigkeit abgesprochen. Verdi und das Land Berlin zweifelten die CGZP-Tariffähigkeit an. Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts begründet seine Entscheidung damit, dass die drei christlichen Einzelgewerkschaften ihre Tarifhoheit nur für die Zeitarbeitsbranche an die CGZP abgetreten hatten.
Die CGZP soll Verträge vor allem mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) abgeschlossen haben. Dessen Anwalt Mark Lembke hatte bei Rückzahlungen vor einer möglichen Pleitewelle in der Zeitarbeitsbranche gewarnt. „Es geht um die Existenz von vielen tausenden Zeitarbeitsfirmen“, wenn es zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen kommt“, sagte Lembke in der mehrstündigen Verhandlung. Von etwa 1600 betroffenen Firmen, darunter auch kleinen Verleihern mit Haustarifverträgen, ist die Rede.
Rechtlich ist es so, dass Leiharbeiter, für die es keinen gültigen Tarifvertrag gibt, Anspruch auf gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaften in den entleihenden Unternehmen haben. Das „Equal- Pay-Prinzip“ ist gesetzlich geregelt. Das Bundesarbeitsgericht habe =mit dem Verfahren Neuland beschritten, sagte Gerichtspräsidentin Ingrid Schmidt, die auch Vorsitzende des Ersten Senats ist. Die obersten deutschen Arbeitsrichter hätten sich bisher noch nicht mit einer Spitzenorganisation auf Arbeitnehmerseite befassen müssen, „die in eigenem Namen Tarifverträge abgeschlossen hat“.