Reform des Elektroriesen So will Joe Kaeser sparen und Siemens digitaler machen
München (dpa) - Siemens-Chef Joe Kaeser lässt nicht locker. Schritt für Schritt trimmt er den Elektroriesen auf Digitalisierung und räumt in Problemsparten auf, das geht mit schmerzhaften Einschnitten einher.
Rund 2700 Jobs stehen dieses Mal auf der Kippe - und das, obwohl sich der Konzernchef nach einem guten zweiten Quartal gerade noch einen Tick optimistischer für dieses Geschäftsjahr gezeigt hatte. Also wieder ein „dicker Brocken“, wie es in Kreisen der Arbeitnehmer heißt, die die Maßnahmen für übereilt halten und sie nun prüfen wollen.
Für Siemens läuft es doch gerade gut, warum also schon wieder Stellenstreichungen?
Das kann man so pauschal nicht sagen, sondern muss genauer auf die betroffenen Sparten und das umfangreiche Maßnahmenbündel schauen. Generell gibt es in dem noch immer breit aufgestellten Konzern mit unterschiedlichsten Sparten und Töchtern - von der Medizintechnik bis zum Kraftwerksgeschäft - immer irgendeine Baustelle, auf der gekürzt, optimiert oder zusammengelegt wird. Dafür sorgen schon konjunkturelle Schwankungen und neue Konkurrenzverhältnisse in unterschiedlichen Branchen und den vielen Regionen weltweit, in denen Siemens tätig ist. Hier steuert die Konzernführung mittlerweile frühzeitig gegen - und bekommt dafür auch Lob von Anlegern. Auch bei der Digitalisierung, die immer mehr an Fahrt aufnimmt, will Kaeser keine Zeit mehr verlieren.
Welche Hintergründe haben die Einschnitte in den einzelnen Sparten?
Da ist zum einen die Unternehmens-IT, die eine Schlüsselrolle beim digitalen Wandel spielt, wie der zuständige Siemens-Vorstand Michael Sen erklärt. Die Aktivitäten sollen hier stärker konzentriert werden, auch um Kapazitäten für Datenanalyse und Cybersicherheit zu schaffen. In der zukunftsträchtigen digitalen Fabrik geht es unter anderem um die Zusammenfassung mehrerer Lager zu einem Logistikzentrum. Außerdem bekommt Siemens teils die Investitionszurückhaltung von Kunden spüren, was Einschnitte im Fürther Werk der Sparte nach sich zieht. Auch die Zugsparte muss Federn lassen: Hier leidet Siemens nach dem Zusammenschluss der beiden größten chinesischen Zughersteller zum Giganten CRRC unter massivem Wettbewerbs- und Kostendruck. Das kostet auch Aufträge - in den vergangenen Monaten soll Siemens bereits mehrere Ausschreibungen verloren haben. Auch der wichtige Kunde Deutsche Bahn schaut sich über ein eigenes Einkaufsbüro in China bereits vor Ort nach Zug-Komponenten um.
Hängen die Einschnitte in der Zugsparte auch mit den Spekulationen Allianz mit Bombardier zusammen?
Indirekt schon, denn auch diese werden ja von der neuen Realität in der Branche angeheizt. Angeblich sollen Siemens und der kanadische Flugzeug- und Bahntechnikkonzern Bombardier über eine Zusammenlegung ihrer Zugsparten sprechen. Dem stünden aber wohl hohe kartellrechtliche Hürden entgegen. Siemens-Finanzchef Ralf Thomas hatte sich zu dem Thema bei Vorlage der Quartalszahlen in der vergangenen Woche nicht näher geäußert, zugleich aber keinen Zweifel daran gelassen, dass er mit weiterer Bewegung in der Branche rechnet.
Die Ausbildung ist auch betroffen - muss man sich jetzt Sorgen machen, dass Siemens die Ausbildung einschränkt?
Zumindest will der Konzern die Ausbildung stärker am eigenen Bedarf ausrichten. Bisher bildet Siemens nicht nur über diesem Bedarf, sondern auch für andere Unternehmen aus, hier soll künftig stärker auf die Kosten geschaut werden. Auch will Siemens Teile der Ausbildung an andere Dienstleister übertragen. In Summe könnten davon dem Vernehmen nach in den kommenden fünf Jahren rund 180 Arbeitsplätze betroffen sein und die Zahl der bisher 33 Ausbildungszentren kräftig schrumpfen.
Wie reagieren die Arbeitnehmervertreter?
Die IG Metall zeigte am Donnerstag wenig Verständnis für die Einschnitte. „Siemens verfällt in sein gewohntes Muster, auf wirkliche oder eingebildete Schwierigkeiten mit Kostensenkungen und Stellenabbau zu reagieren“, sagte ein Sprecher der Gewerkschaft. Gerade angesichts hervorragender Geschäftszahlen und voller Kassen halte man die Maßnahmen für voreilig. Bislang handele es sich bei dem Maßnahmenpaket derweil nur um eine „Wunschliste“, so der Sprecher. „Bevor Verhandlungen aufgenommen oder gar Entscheidungen getroffen werden, wird die Arbeitnehmerseite erst einmal jede einzelne Maßnahme gründlich auf ihre Plausibilität und mögliche Alternativen überprüfen.“
Von Einschnitten bei Siemens ist häufig zu hören - wie hat sich die Beschäftigtenzahl seit Kaesers Amtsantritt entwickelt?
Als Kaeser den Chefposten bei Siemens im Sommer 2013 übernahm, hatte der Konzern noch rund 362 000 Beschäftigte - zuletzt waren es 351 000 Mitarbeiter. In Deutschland ist die Beschäftigtenzahl im gleichen Zeitraum relativ stabil geblieben, zuletzt lag sie bei rund 114 000. Dabei stehen Stellenstreichungen an einer Stelle regelmäßig auch Neuanstellungen in anderen Sparten gegenüber. Hinzu kommen Schwankungen durch Zu und Verkäufe durch Unternehmensteile. So betonte Siemens auch am Donnerstag, dass in den kommenden Jahren alleine in Deutschland 9000 neue Beschäftigte ihren Arbeitsplatz bei Siemens finden sollen. „Dabei wird angestrebt, möglichst viele der betroffenen Mitarbeiter für offene Stellen zu requalifizieren.“