Lange Wachstumsphase Starker Jahresauftakt: „Konjunktur zeigt hohe Schlagzahl“
Wiesbaden/München (dpa) - Die deutsche Wirtschaft steuert nach einem starken Jahresauftakt auf eine ihrer längsten Wachstumsphasen zu.
Angetrieben von steigenden Exporten, kauflustigen Verbrauchern, dem Bauboom und Unternehmensinvestitionen legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zu. Das Statistische Bundesamt bestätigte am Dienstag eine erste Schätzung. Ökonomen rechnen mit einem starken Gesamtjahr - trotz Unsicherheiten durch die unklaren Bedingungen des EU-Austritts Großbritanniens (Brexit) und die US-Handelspolitik. Ende 2016 war Europas größte Volkswirtschaft um 0,4 Prozent moderater gewachsen.
Deutschlands Unternehmen sind dem Ifo-Institut zufolge in so guter Stimmung wie nie zuvor. „In den deutschen Chefetagen herrscht Champagnerlaune“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Der Geschäftsklimaindex des Instituts stieg im Mai auf den höchsten Stand seit 1991. „Die deutsche Konjunktur zeigt eine hohe Schlagzahl.“
„Die deutsche Wirtschaft wird zum Langstreckenläufer“, zeigte sich auch KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner zuversichtlich. „Sie hält ihr Tempo mit beeindruckender Ausdauer und nimmt Kurs auf eine der längsten Wachstumsperioden des letzten halben Jahrhunderts.“ ING Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sieht derzeit ebenfalls keine Anzeichen für ein plötzliches Ende des Aufschwungs, der mittlerweile ins neunte Jahr gehe. „Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wirkt wie eine nicht endende Erfolgsgeschichte.“
Auch nach Angaben des DIHK bewerten deutsche Unternehmen ihre Lage so gut wie noch nie seit der Wiedervereinigung und schrauben ihre Geschäftserwartungen nach oben. Trotz internationaler Unwägbarkeiten beurteile fast jedes zweite Unternehmen seine Lage als „gut“ (48 Prozent). „Der Fachkräftemangel wächst sich allerdings zum mit Abstand größten Geschäftsrisiko aus“, warnte der Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Mehr als jedes zweite Unternehmen sehe seine Entwicklung inzwischen dadurch gefährdet.
Die Firmen investierten zu Jahresanfang nach Angaben der Statistiker wieder mehr in Maschinen und andere Ausrüstungen (plus 1,2 Prozent). In den vergangenen Quartalen hatten sie sich angesichts politischer Unsicherheiten im Euroraum zurückgehalten. Der ohnehin schon boomende Bau profitierte von der vergleichsweise milden Witterung.
Die Verbraucher waren trotz der zum Jahresanfang gestiegenen Inflation weiterhin in Konsumstimmung. Sparen wirft wegen der Zinsflaute kaum noch etwas ab und die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist historisch günstig. Das heizt die Kauflaune an. Auch die Ausgaben des Staates unter anderem für die Unterbringung Hunderttausender Flüchtlinge trugen zum Wachstum bei.
Positive Impulse kamen den Angaben zufolge zudem vom Außenhandel - die Ausfuhren stiegen stärker als die Importe. Deutschlands Exportunternehmen profitierten von der Erholung der Weltwirtschaft und dem schwächeren Euro, das treibt die Nachfrage nach „Made in Germany“ an.
Bei Handelspartnern insbesondere bei der US-Regierung unter Donald Trump sorgt Deutschlands Exportstärke allerdings für Ärger. Auch die EU-Kommission mahnte, Deutschland solle die heimische Nachfrage ankurbeln und so den Exportdruck auf andere Länder senken. Die Bundesrepublik produziert mehr als sie verbraucht, viele Waren und Dienstleistungen werden ausgeführt.
Nach Einschätzung der Bundesbank kann die deutsche Konjunktur ihr hohes Tempo vorerst halten. „Das kräftige Wachstum der deutschen Wirtschaft wird sich im Frühjahr 2017 wohl fortsetzen“, heißt im jüngsten Monatsbericht der Notenbank. Die Industrie werde weiter von der regen Nachfrage aus dem In- und Ausland profitieren. Positive Impulse dürften auch vom Privatkonsum und dem Bausektor kommen.
Im Gesamtjahr rechneten führende Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesregierung zuletzt mit einem Wachstum von 1,5 Prozent. Manche Ökonomen trauen der deutschen Wirtschaft noch mehr zu. Im vergangenen Jahr waren es noch 1,9 Prozent, allerdings gab es wegen der Lage der Feiertage auch mehr Arbeitstage. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer stürmt die deutsche Wirtschaft „angefacht von der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und einer Erholung in Westeuropa förmlich nach vorne“.