Steuergewerkschafts-Chef im Interview Cum Ex: „Man hätte umgehend die Schotten dicht machen müssen“

Berlin · Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, weiß, ob bei dem Gerichtsprozess zu den „Cum-Ex“-Geschäften Licht ins Dunkel kommen könnte.

Vor dem Bonner Landgericht hat der erste Strafprozess zu den hochumstrittenen "Cum-Ex"-Steuerdeals begonnen.

Foto: dpa/Marius Becker

Vor dem Bonner Landgericht begann am Mittwoch der erste Strafprozess zur Aufarbeitung des wohl größten Steuerskandals in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mittels so genannter Cum-Ex-Geschäfte ließen sich reiche Anleger die Kapitalertragsteuer gleich mehrfach erstatten, wodurch dem Fiskus ein zweistelliger Milliardenbetrag entgangen sein soll. Kommt jetzt endlich Licht ins Dunkel? Darüber sprach unser Korrespondent Stefan Vetter mit dem Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Thomas Eigenthaler:

Wann haben Sie zum ersten Mal von den Cum-Ex-Geschäften gehört?

Eigenthaler: Das war so zwischen 2010 und 2011, als ich Bundesvorsitzender der Steuergewerkschaft wurde. Und mich hat schon damals sehr gewundert, dass die Sache nur ein politisches Randthema war. Für jeden kleinen Finanzbeamten war klar, dass es sich um einen Missbrauch von rechtlichen Möglichkeiten handelte und man deshalb umgehend die Schotten hätte dicht machen müssen.

Das Steuerschlupfloch wurde 2012 per Gesetz geschlossen. Warum kommt es erst jetzt zu einem Strafprozess?

Eigenthaler: Für die kleinen und ehrlichen Steuerzahler ist es in der Tat unerträglich, dass über Cum Ex schon seit zehn Jahren diskutiert wird, aber die strafrechtliche Aufarbeitung erst jetzt beginnt. Die Ursachen sind wohl darin zu suchen, dass die Banken bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise viel politisches Wohlwollen genossen haben. Vielleicht sogar schützende Hände. Man hat Gutachten angefordert, in Gremien diskutiert, ohne zu klaren Ergebnissen zu kommen.

Angeklagt sind jetzt zwei britische Aktienhändler. Das klingt nach der Devise, die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen…

Eigenthaler: Es gibt zwei Baustellen. Zum einen sind da die Banken und Anleger, von denen man zu viel erstattetes Geld zurückfordert. Hier ist juristisch schon einiges im Gange. Manche Geldhäuser lassen sich auf Vereinbarungen ein, um ihren Ruf zu retten. Bei dem Prozess in Bonn geht es um die andere Baustelle, nämlich darum, Personen konkret zu bestrafen. Das erfordert einen Schuldnachweis. Und das ist bei Wirtschaftskriminalität immer schwierig.

Ausgangspunkt des Skandals war eine Lücke im Gesetz. Sind diese Cum-Ex-Geschäfte dann überhaupt strafbar?

Eigenthaler: Genau darauf wird die Verteidigung der Angeklagten herumreiten. Nach meinem Verständnis gab es keine Gesetzeslücke. Schon der klare Menschenverstand sagt einem doch, dass man sich eine Steuererstattung nicht mehrfach auszahlen lassen darf.

Sind die Finanzmärkte überhaupt wirksam kontrollierbar?

Eigenthaler: Es wird jedenfalls immer schwieriger. Das ist wie bei Hase und Igel. Deshalb bin ich auch für eine Anzeigepflicht von Steuergestaltungsmodellen. Wenn eine Bank über solche Methoden im Vorfeld informieren muss, kann der Fiskus solche Modelle vorher prüfen. Und dann lässt sich auch schneller gegensteuern, als das bei Cum Ex der Fall war.

Wie könnte der Strafprozess ausgehen?

Eigenthaler: Ich rechne damit, dass er viele Monate, vielleicht sogar ein Jahr dauert. Die Verteidiger werden alles tun, um ihre Mandanten rauszuboxen. Auch durch eine Prozessabsprache. Ich würde mir dagegen wünschen, dass die Sache durchprozessiert wird bis zum Ende und es zu hohen Strafen kommt. Damit rechtlich Klarheit besteht, auch für mögliche weitere Verfahren. Und als Motivation dafür, dass Profiteure von Cum-Ex-Geschäften ihre aus meiner Sicht hinterzogenen Steuern schneller wieder zurückzahlen, als sie das jetzt tun.