Strom wird Exportschlager
Was positiv klingt, hat negative Folgen: Strom muss ins Ausland verschenkt werden.
Berlin. Der Atomausstieg produziert seltsame Effekte. Deutschland hat 2012 netto so viel Strom in das Ausland verkauft wie zuletzt 2008, als noch 17 Atomkraftwerke liefen. Im Klartext heißt das: An vielen Tagen gibt es trotz acht abgeschalteter Atomkraftwerke in Deutschland zu viel Strom im Netz.
Der Jubel bei den Energieversorgern hält sich dennoch in Grenzen. Obwohl Deutschland 2012 einen Strom-Handelsüberschuss von 1,4 Milliarden Euro erwirtschaftete, verbrennen sie wegen der schwer kalkulierbaren Erzeugung von Wind- und Solarstrom mit ihren Kraftwerken auch Geld.
Beispiel 24. März. Zum ersten Mal wurden an diesem Tag negative Preise „in signifikanter Höhe beobachtet“, hat der Energieexperte Marco Nicolosi vom Beratungsunternehmen Ecofys in einer Studie für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ermittelt.
Das bedeutet, es mussten gegen 14 Uhr rund 50 Euro pro Megawattstunde von deutschen Versorgern draufgezahlt werden, damit das Ausland den überschüssigen Strom abnahm — in der Spitze waren es sogar bis zu 200 Euro.
Im Jahresverlauf 2012 registrierte die europäische Strombörse Epex Spot an 15 Tagen solche negativen Strompreise — das Phänomen kann wegen des Ökostrom-Booms zunehmen. Ohne Stromspeicher droht hier ein Hauptknackpunkt der Energiewende.
Generell gilt, dass bei einer hohen Einspeisung bei geringer Nachfrage negative Strompreise entstehen können. Für den 24. März gab es eine zu geringe Vortagsprognose zur Einspeisung erneuerbarer Energien — dadurch waren zu viele Kohle- und Atomkraftwerke am Netz, die nicht einfach mal eben heruntergefahren werden können.
Die stark schwankende Ökostromeinspeisung macht es immer komplizierter, die als Ergänzung notwendige konventionelle Kraftwerksproduktion abzuschätzen, moniert der BDEW. „Die schwankende Erzeugung aus erneuerbaren Energien führt viel früher zu solch negativen Effekten als bislang angenommen“, sagt ein Sprecher.
Gerade die teureren Gaskraftwerke werden so immer unrentabler. Eon denkt laut über ein Aus für das hochmoderne Gaskraftwerk Irsching nach, wo erst 2010 ein 845-Megawatt-Block ans Netz ging.
Der Kunde hat von dem hohen Überschuss auch kaum etwas, eher im Gegenteil. Zwar senken die erneuerbaren Energien die Einkaufspreise für Strom deutlich. Aber so paradox es klingen mag: Genau durch diesen Effekt drohen den Bürgern weiter steigende Strompreise.
Grund ist die Berechnungsgrundlage der Erneuerbare-Energien-Umlage, die allen Verbrauchern auf den Strompreis aufgeschlagen wird. Gibt es negative Strompreise, wächst die Differenz zu den auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütungen deutlich, dadurch steigt die Umlage.
Schon jetzt zahlt ein Drei- oder Vier-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden netto 185 Euro nur für die Ökostrom-Vergütungen. Fallen die Börsenstrompreise weiter — und sind an einzelnen Tagen sogar negativ — dürften die Ökostromkosten 2014 die 200-Euro-Grenze pro Haushalt locker überschreiten.