Südafrikas Wirtschaft hat von der WM wenig profitiert
Kapstadt (dpa) - Als vor einem Jahr die Spanier den Triumph bei der Fußball-WM in Südafrika bejubelten, fühlten sich auch die Südafrikaner als Sieger. Der große Erfolg der ersten Fußball-WM auf afrikanischem Boden stärkte nicht nur das Selbstbewusstsein der Gastgeber.
Er beflügelte auch die Hoffnungen der Wirtschaft der ohnehin stärksten Volkswirtschaft des Kontinents. Von der Euphorie jener Tage ist nicht viel übrig geblieben. Die ökonomische Bilanz ist eher dürftig, die Perspektiven widersprüchlich. Südafrika verliert in Afrika an Boden. „Wir stehen vor unsicheren Zeiten“, gestand Vize-Finanzminister Nhlanhla Nene kürzlich ein.
Zweifel am wirtschaftlichen Nutzen der WM gab es von Anfang an. Offiziell investierte die Regierung in Pretoria rund 34 Milliarden Rand (3,1 Milliarden Euro) in Stadien, Flughäfen, Straßen und andere Infrastruktur. Die Regierung sagt, das Ereignis habe dem Land ein halbes Prozent Wirtschaftswachstum beschert. Zudem seien 2010 etwa eine Million Touristen zusätzlich ins Land gekommen, insgesamt waren es etwa acht Millionen. Den erhofften Anstieg der Auslandsinvestitionen löste die WM allerdings nicht aus.
Inzwischen aber werden die Folgekosten deutlich. Der erste Hochgeschwindigkeitszug Afrikas, der Gautrain in Johannesburg, ist stark defizitär und muss mit 259 Millionen Rand jährlich subventioniert werden. „Mit der WM waren wir vielleicht für einen Monat die Lieblinge der Sportswelt, aber das negative Erbe der Gastgeberrolle werden wir noch lange spüren“, kritisierte die „Times“. Mehrere neue Stadien wie die in Kapstadt oder Port Elisabeth stehen meist leer und belasten die Kommunen. Allein in Kapstadt kostet der Unterhalt der bildschönen WM-Arena 44 Millionen Rand. Die Stadt sucht immer noch nach einem neuen Betreiber.
Trotzdem war die WM 16 Jahre nach dem Ende des rassistischen Apartheid-Systems für die junge Demokratie stabilisierend. Die Spiele lösten eine Welle des Patriotismus aus. Die Südafrikaner waren stolz, sich als ein friedliches und gut organisiertes Land präsentieren zu können. „Südafrika wird noch viele Jahre von dem Reputationsgewinn profitieren“, sagte Wirtschaftsminister Rob Davies.
Das trug vielleicht sogar dazu bei, dass Südafrika in den exklusiven Club der aufstrebenden Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China aufgenommen wurde - aus BRIC wurde BRICS. Das aber war eher eine politische denn eine ökonomische Entscheidung. Denn Südafrikas Anspruch, „Tor zum Kontinent“ und „Wirtschaftslokomotive Afrikas“ zu sein ist bedroht.
Südafrika darf 2011 laut dem renommierten „Wirtschaftsausblick Afrika“ mit einem Wirtschaftswachstum von vier Prozent rechnen. 2010 waren es 2,8 Prozent. Allerdings haben Ghana, Äthiopien, Mosambik, Nigeria oder die Elfenbeinküste Südafrika beim Wachstum schon lange und deutlich überholt. Das reiche und relativ industrialisierte Land am Kap lag auch im vergangenen Jahrzehnt unter der durchschnittlichen Wachstumsrate Afrikas von über fünf Prozent.
Südafrika zehrt davon, ein weitgehend verlässlicher demokratischer Rechtsstaat zu sein und über Industrie, reiche Rohstoffvorkommen, eine funktionierende Finanzwirtschaft und Fachkräfte zu verfügen. Allerdings gibt es neben dem unzureichenden Wirtschaftswachstum auch zahlreiche Alarmsignale. Wuchernde Korruption und Vetternwirtschaft, eine hohe HIV-Infektionsrate und eine enorm hohe Kriminalität wirken lähmend auf die Gesellschaft. Vor allem leidet Südafrika unter großer Armut. 14 der 50 Millionen Südafrikaner beziehen in irgendeiner Form Hilfe vom Staat - meist Kindergeld.
„Arbeitslosigkeit ist unsere größte Herausforderung“, betonte die Regierung. Nene sprach von 13 Millionen Südafrikanern, die in Lohn und Brot stehen. Er gab damit offen zu, dass die reale Arbeitslosenquote deutlich höher als die offiziellen 25 Prozent liegt. Vor allem der Jugend fehlt die Perspektive: Mehr als 60 Prozent sind ohne Job.
Gewerkschaften und linke Politiker in der Regierungspartei ANC forderten derweil vehement Verstaatlichungen und Zwangsenteignungen weißer Landbesitzer. 50 Jahre Geschichte afrikanischer Staaten nach der Entkolonialisierung belegen aber, dass die Vertreibung ausländischer Unternehmen, Nationalisierung von Privatbesitz und Vertreibung von Weißen und Indern das sichere Rezept für ökonomische und politische Desaster sind.
Der angesehene Historiker R.W. Johnson malte sogar warnend einen drohenden Bürgerkrieg und Abspaltungskämpfe an die Wand. Erstaunlicherweise ist diese Gefahr im Land des Friedensstifters und großen Versöhners Nelson Mandela, dem ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, keineswegs völlig gebannt. „Das Land schwankt zwischen Erfolg und Scheitern“, warnte Ex-Präsident Frederik Willem de Klerk. Die Unsicherheit wirkt sich aus. Südafrika ist nicht mehr die erste Adresse in Afrika. „Nigeria wird uns 2020 als größte afrikanische Wirtschaftsmacht überholt haben“, schrieb der Wirtschaftsexperte Lyal White vom „Gordon Institute of Business Science“ (Pretoria).