Textil: Das Stricken feiert ein Comeback

Nadelhersteller Selter verkauft so viel wie nie zuvor. Die Deutschen haben wieder mehr Zeit für Handarbeit und wollen Geld sparen.

Altena/Köln. Stricken ist wieder schick: Vielerorts werden in Deutschland Strickclubs gegründet. Selbst junge Leute entdecken die Handarbeit für sich, die lange Zeit als spießiges Hausfrauen-Hobby verpönt war.

Die einen wollen einen einzigartigen Schal tragen, andere Geld sparen. Den Modetrend Strick haben große Bekleidungshersteller mit ihren Herbst- und Winterkollektionen 2009 auf den Laufstegen und den Schaufenstern gesetzt.

Davon profitieren auch Mittelständler. Der Stricknadelhersteller Selter im Sauerland produziert und verkauft 2009 so viel wie nie zuvor in der 180-jährigen Firmengeschichte.

Firmenchef Thomas Selter plagen Sorgen, die so mancher Unternehmer zwischen Kiel und Konstanz derzeit gern haben würde: "Die Lieferzeiten für unsere Stricknadeln sind im Moment relativ lang. Der Druck ist gewaltig, dass die bestellten Sachen rechtzeitig raus gehen", erzählt der 61-jährige Firmenchef.

Rund 12 000 Produkte stellt das Unternehmen im sauerländischen Altena derzeit im Durchschnitt pro Tag her. Unter dem Markennamen "Addi" sind die Stricknadeln bekannt, die selbst nach China, Korea und Japan geliefert werden. Auch in Nordamerika sind die Nadeln aus dem Sauerland ein Verkaufsschlager.

Der Hauptgrund für den Absatzboom sei der Modetrend. Aber auch weitere Einflüsse spielten eine Rolle. "Die Wirtschaftskrise ist ein Faktor, der uns in die Hände spielt, denn durch Kurzarbeit und Entlassungen haben die Leute mehr Zeit und weniger Geld", erläutert Selter.

"Strick ist einer der großen Modetrends in dieser Saison", bestätigt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts. Ob Armani, Dolce & Gabbana oder Chanel - auch Designer verkaufen Edles aus Strick.

"In einer Zeit, in der Menschen Stress haben und unter Druck stehen, sehnen sie sich nach Entspannung, nach einer Kleidung, in der sie sich wohlfühlen", meint der Modeexperte. Strick biete diesen Wohlfühlcharakter. "Angesichts der hohen Preise vieler Designerstücke besinnen sich jetzt viele Verbraucher darauf, dass man solche Dinge günstiger haben kann, wenn man sie selber macht."

"Die Sockenstricker gibt es immer noch", sagt Angela Probst-Bajak, Sprecherin der Initiative Handarbeit, unter deren Dach Hersteller der Handarbeitsbranche zusammengeschlossen sind. "Es sind aber die jungen Modebewussten, die den Zuwachs machen."

Als Grund für den Trend sieht sie den Wunsch nach Individualität, nach Abgrenzung zum dem, was es überall zu kaufen gibt. "Früher waren es einfach die Älteren und jetzt kommt eine junge Generation nach, die nicht nur Kleidung von der Stange haben möchte, sondern ein passendes Accessoire dazu, das nicht jeder hat", sagt Probst-Bajak.

Doch der Strickboom kann auch schnell wieder vorbei sein, wie Selter weiß: "Denn wenn die Fertigmode sagt: Strick ist out, dann wird auch nicht mehr gestrickt."

Selter, der den Familienbetrieb seit 38 Jahren leitet, kann sich noch gut an die Zeit Ende der 80er Jahre erinnern, als die Umsätze massiv wegbrachen, weil Stricken innerhalb kurzer Zeit völlig aus der Mode kam.

"So eine Krise möchte ich nicht noch einmal erleben", sagt Selter. "Ich habe jetzt sehr empfindsame Antennen." Bisher sieht er jedenfalls keine Anzeichen für ein Ende des Aufwärtstrends.