Tschüss Otto-Katalog — du alter Freund

Der Katalog, den das Versandhaus seit 1950 herausgegeben hat, ist ein weiteres Opfer der digitalen Welt. Schon schade, findet unsere Autorin — und bekennende Papiertigerin.

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Düsseldorf. Er gehört zu den lieben Kindheitserinnerung wie der Schnee, den es früher tatsächlich auch im Rheinland mal gegeben hat, oder wie Nicki-Anzüge, die mal als kuschelig statt als Prekariatsmode galten, wie das erste Tagebuch oder in der Schule das Poesiealbum: der Versandhaus-Katalog. Namentlich: der Otto-Katalog. Im Dezember will das Unternehmen seinen seit 1950 herausgebrachten Traditionswälzer zum letzten Mal vom Stapel lassen. Dann ist Schluss. Ein weiteres Opfer an die Online-Bestellerei der modernen Deutschen.

Die Kunden selbst hätten den Katalog sukzessive abgeschafft, erklärte der Bereichsvorstand des Hamburger Versandhandels, Marc Opelt, in dieser Woche. Weil sie eben zu 95 Prozent sowieso schon im Internet orderten. Weil das mit dem Katalog verdiente Geld nur noch einen einstelligen Prozentanteil am Gesamtumsatz von 2,95 Milliarden Euro ausmachte. Und wenn sie keiner mehr nutzt, dann kommen diese nostalgisch lieb gehabten Schätzchen eben weg. Wie Telefonzellen. Oder Kaugummiautomaten. Oder der morsche Kinderschlitten aus dem Keller, weil’s ja doch nicht mehr schneit. Es ist schade, aber es ist nun mal so. Der eiskalte Lauf der Dinge.

Und mal ehrlich, man selbst war ja auch nicht besser. Natürlich ist es eine schöne Erinnerung von anno dazumal: das Durchforsten der Post, wenn der Otto-Katalog wieder fällig war — nicht dass Mama ihn zuerst in die Finger bekommt und mit ihren Eselsohren und Kuli-Kringeln um ausgewählte Modelle schon alles verhunzt hat. Selbst wenn das Taschengeld nie im Leben gereicht hätte — es war aufregend, durch das Bunt auf Weiß der aktuellen Frühjahrsmode zu blättern und zu schwelgen in Möglichkeiten.

Vor 15 Jahren zierte Top-Model und Next-Topmodel-Mutti Heidi Klum die Titelseite des Katalogs (l.). Es folgten schöne Damen über schöne Damen — darunter Moderatorin Nazan Eckes 2011 (2. v. l.), Sängerin Nena im Jahr davor (2. v. r.) oder 2007 Sylvie, als ihr Nachname noch van der Vaart lautete. Fotos: dpa

Aber für solches Schwelgen hat doch heute keiner mehr Zeit und mit schönen Erinnerungen verdient eine GmbH & Co KG kein Geld. Wir Papiertiger, die vor dem Lesen eines Buches einmal aufschlagen und den Geruch des frischen Druckerzeugnisses einsaugen; die tatsächlich manchmal über 20 Euro für ein Hardcover ausgeben; die ihre Termine im ledereingeschlagenen Kalender eines Modells eintragen, wie es einst Hemingway und Picasso für ihre schlauen Gedanken genutzt haben sollen, gehören vermutlich genauso in die Vergangenheit wie der Versandkatalog. Altpapier halt.

Heute kämpfen sie ja alle im Handel. Der stationäre besonders — bezeichnend, dass der moderne Begriff für echte Läden Assoziationen mit einem langwierigen Klinikaufenthalt weckt. Die junge Konsumentengeneration geht angeblich höchstens noch in solche echten Läden, um ein Kleidungsstück anzuprobieren und es dann billiger online zu erwerben. Man hat den Durchschnitts-Anfangszwanziger im Verdacht, stationär nur noch einzukaufen, wenn das Geschäft coole Tüten für die Ware hat, die selbst schon fast ein Accessoire sind und gerne mitgeführt werden.

Der Katalog ist das wohl nicht mehr: cool. Otto hat zwar über all die Jahre Berühmtheiten von Gisele Bündchen bis Nena aufs Cover gebracht. Aber wäre heute denkbar, dass Heidi Klum bei ihrem alljährlichen TV-Casting dem next Topmodel neben einem unterschriebenen Agenturvertrag eine Titelseite auf dem Otto-Katalog verspricht? Schwerlich. Auch das Unternehmen selbst betont lieber, dass der ganze Katalog schon 1997 im Netz zu finden war. Das war superfrüh in der digitalen Revolution — und damit ja auch ziemlich cool.

Immerhin: Der Otto-Katalog hat lange durchgehalten. Neckermann etwa stellte 2012 ein. Quelle, deren Hauptkatalog 1999 noch stolze acht Millionen Exemplare Auflage hatte, ging ja nun mal pleite, die Markenrechte hat inzwischen wiederum Otto — die Waren gibt es heute natürlich online.

Letzte Bastion im Blätterwald ist der Ikea-Katalog. Und wer sich nun sorgt: keinerlei Veranlassung, wir haben nachgefragt. „Der Katalog ist ein echter Klassiker“, erklärt eine Sprecherin. Im vergangenen Jahr hatte das Standardwerk für Billy und Kallax in Deutschland eine Gesamtauflage von 30 Millionen. Der bleibt! Klassiker sind offensichtlich auch cool, ob auf Papier oder stationär.

Und letztlich hat es ja jeder Nostalgiker im kleinen Stil noch selbst in der Hand, das Papier zu verteidigen. Vielleicht nicht mit einem Poesiealbum, das käme im Büro komisch rüber. Aber vielleicht mit einem Kalender außerhalb des Smartphones. Oder einem Tagebuch außerhalb der Notizfunktion im Tablet-PC. So wie Hemingway oder Picasso damals für ihre schlauen Gedanken. Solche Kalender und Tagebücher kann man übrigens auch ganz praktisch und cool im Internet kaufen.