Bundesverwaltungsgericht Urteil: Viele Kammern bunkern Mitgliedsbeiträge
Bundesverwaltungsgericht gibt Unternehmen im Streit mit der IHK Koblenz Recht. Kammerkritiker sehen das Urteil als richtungsweisend für andere Fälle. So reagieren die Kammern der Region.
Düsseldorf. Mit seiner Schuldenuhr prangert der Bund der Steuerzahler immer wieder die Verschuldung der öffentlichen Haushalte an. Eine ganz ähnliche virtuelle Uhr tickt auf der Internetseite des Bundesverbands für freie Kammern (bffk). Der Verband setzt sich für eine freiwillige statt der Pflichtmitgliedschaft in den berufsständischen Kammern ein. Donnerstagnachmittag zeigte diese „Rückstellungsuhr“ knapp 1,93 Milliarden Euro an. „Diese Gelder horten die Kammern“ steht unter dem sich sekündlich erhöhenden Betrag. Dass diese Uhr demnächst auch einmal rückwärts laufen wird, darauf setzt bffk-Bundesgeschäftsführer Kai Boeddinghaus nach einem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.
Der streitlustige Mann, der auch „Kammerrebell“ genannt wird und dessen Verband eine Mitgliederzeitschrift mit dem klanvollen Titel „Der Kammerjäger“ herausgibt, sieht in dem Richterspruch ein Signal. Tatsächlich versetzt das Urteil derzeit bundesweit die Industrie- und Handelskammern (IHK), Handwerkskammern und auch berufsständische Kammern ins Grübeln. Mit deutlichen Worten haben die obersten Verwaltungsrichter nämlich eine Industrie- und Handelskammer in die Schranken verwiesen. Die Kammern, so der Richterspruch, dürfen die Beiträge ihrer Mitgliedsbetriebe nicht dafür verwenden, eine zu hohe Rücklage zu bilden. Vermögensbildung, so betonen sie ausdrücklich, sei den Kammern verboten.
„Das Urteil ist ein Durchbruch“, sagt Boeddinghaus, dessen Verband nach eigenen Angaben derzeit etwa 50 ähnliche Verfahren betreibt. Mit dem Richterspruch sei der pauschalen Rücklagenbildung in Millionenhöhe für nicht kalkulierte und bezifferte Risiken in den Kammern nun ein Ende gesetzt. Nach Schätzungen des bffk müssen nun bundesweit alleine in den Industrie- und Handelskammern rund 450 Millionen Euro an rechtswidrig gebildeten Rücklagen aufgelöst werden. Hinzu kämen weitere Millionen in den Handwerkskammern. Boeddinghaus: „Insbesondere bei Baurücklagen haben wir in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Pi-mal-Daumen-Kalkulation der Kammern beobachtet.“
In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall (Az. 10 C 6.15) hatte sich ein Unternehmen erfolgreich gegen die Höhe der von ihm zu zahlenden Mitgliedsbeiträge gewehrt. Diese seien zu hoch ausgefallen, weil die von ihm verklagte IHK Koblenz eine unverhältnismäßig hohe Rücklage gebildet habe. Zwar dürften Rücklagen gebildet werden, um die Kosten der Kammertätigkeit zu decken. In dem Fall hatte die IHK Koblenz aber eine Rücklage von 50 Prozent des jährlich anfallenden Betriebsaufwands gebildet. Was „deutlich überhöht“ sei. Die Höhe der Rücklagen, so die Richter, habe nicht dem Grundsatz der Schätzgenauigkeit entsprochen. Eine solche Rücklagenhöhe hätte allenfalls mit der Prognose gerechtfertigt werden können, dass es im jeweiligen Haushaltsjahr bei ungünstigem Zahlungseingang zu zeitweisen Liquiditätsengpässen von 50 Prozent der laufen Ausgaben kommen könne.
Boeddinghaus glaubt, dass bei vielen Kammern zu viel Beitragsgelder zurückgelegt werden. „Wir können nur allen Mitgliedern der Wirtschaftskammern dringend empfehlen gegen jetzt eingehende Beitragsbescheide rechtlich vorzugehen“, sagt er. So könnten die Beiträge am Ende niedriger ausfallen. Rückzahlungsansprüche seien allerdings schwierig bis unmöglich. Auch in Nordrhein-Westfalen seien die Kammern von dem Urteil betroffen. „Wir empfehlen allen IHK- und HWK-Mitgliedern in NRW zu klagen. Wir halten die Aussichten nach dem Urteil für außerordentlich gut.“ Sein Verband habe bereits Musterklagen vorbereitet.
Wie reagieren die großen Kammern der Region auf das Urteil? Michael Wenge, Hauptgeschäftsführer der IHK Wuppertal-Solingen-Remscheid, gibt sich zurückhaltend. Er freut sich zwar über derzeit stabile Beitragseinnahmen, die mit dem Anspringen der Konjunktur auch im Bergischen zusammenhängen. Für die Bekanntgabe genauer Zahlen sei es aber noch zu früh. „Was mit den Mehreinnahmen geschehen soll, ist noch nicht entschieden“, sagt er. Dies bleibe den zuständigen Gremien unter Beteiligung der Unternehmer vorbehalten.
Die IHK Düsseldorf sieht in dem Urteil keinen Anlass, ihre aktuelle und mittelfristigen Budgetplanungen anzupassen. Sprecherin Antje Mahn betont, dass sich die Kammer bereits im November 2014 mit der Rücklagenbildung beschäftigt und einen Plan erarbeitet habe, nach dem die Liquiditätsrücklage bis zum 31. Dezember 2018 vollständig abgeschmolzen sein werde. Mit Stichtag 31. Dezember 2015 werde die Liquiditätsrücklage voraussichtlich 5,82 Millionen Euro oder 23 Prozent des Jahresfinanzbedarfs betragen. Um die Belastungen der Unternehmen durch den IHK-Beitrag möglichst gering zu halten, habe die IHK Düsseldorf diesen seit 1996 kontinuierlich gesenkt. Unerwartet hohe Beitragseinnahmen, die zu einem Jahresüberschuss führten, seien in den Jahren 2010 (vier Millionen Euro) und 2011 (4,2 Millionen Euro) zurückerstattet worden.
Für die Handwerkskammer Düsseldorf betont deren Sprecher Alexander Konrad, dass die von der Kammer gebildeten Rücklagen „zum einen zweckgerichtet der Finanzierung konkret beschlossener Baumaßnahmen im Bereich unserer Akademie (energetische Sanierungsmaßnahmen und Umbau an Meisterschulgebäuden) dienen.“ Zum anderen deckten sie als Pflichtreserven gerade den Bedarf für Betriebsmittelbeschaffung und für Pensionszahlungen. Konrad: „Eine fixe Rücklagenbildung in Höhe eines halben Jahresfinanzbedarfs wie offenbar bei manchen IHK´en gibt es bei der Handwerkskammer Düseldorf nicht. Auch nichts annähernd Vergleichbares.“ Gleichwohl beschäftige sich ein Arbeitskreis der Kammer mit der Zukunft des Kammerbeitrags. Ziel sei „der gerechteste Beitrag“.
bffk.de