Viel Ärger vor ThyssenKrupp-Hauptversammlung
Essen (dpa) - Deutschlands größter Stahlkonzern ThyssenKrupp kommt nicht zur Ruhe. Vor der Hauptversammlung am Freitag (18.1.) sieht sich Aufsichtsratschef Gerhard Cromme mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.
Kritiker werfen ihm Versäumnisse im Zusammenhang mit den Milliardenverlusten beim Stahlwerksbau in Brasilien und mit Affären bei ThyssenKrupp vor. Auch die Erste-Klasse-Flüge für Aufsichtsratsmitglieder könnten zu einem Thema bei der Hauptversammlung werden.
Ein glaubwürdiger Neuanfang bei ThyssenKrupp könne nicht auf der Vorstandsebene enden, sagte Hans-Christoph Hirt von der Londoner Investorenvertretung Hermes Fund Managers der „Welt am Sonntag“. Führungskultur sei „nicht nur Aufgabe des Vorstands“. Hirt sprach sich für „eine geordnete Nachfolgeregelung an der Spitze des Aufsichtsrats“ aus. ThyssenKrupp hatte sich Ende vergangenen Jahres von drei Vorstandsmitgliedern getrennt und dies mit „notwendigen Veränderungen des Führungssystems und der Führungskultur im Konzern“ begründet.
Ein Zusammenschluss von ehemaligen Spitzenmanagern der deutschen Industrie habe Cromme in einem offenen Brief zum Rücktritt aufgefordert, berichtet das Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Crommes Umgang mit den Affären werfe ein falsches Bild auf all jene Aufsichtsräte, die sich „mit großer Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit“ für gute Unternehmensführung einsetzten, heiße es in dem Brief der „Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland“ (VARD).
Im abgelaufenen Geschäftsjahr war der Stahl- und Anlagenbauer wegen hoher Abschreibungen auf zwei Stahlwerke in Brasilien und den USA mit rund 5 Milliarden Euro tief in die Verlustzone gestürzt. Außerdem stand das Unternehmen wegen Kartellvorwürfen in den Schlagzeilen.
Zur Hauptversammlung in Bochum haben bereits mehrere Aktionäre Gegenanträge eingereicht. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW kündigte an, den drei abgelösten Vorständen und dem Aufsichtsrat die Entlastung zu versagen. In beiden Fällen fordern die Anlegerschützer eine Vertagung, weil mit den aktuellen Informationen keine Entscheidung über eine Entlastung möglich sei.
IG-Metall-Vorstandsmitglied Bertin Eichler muss wegen seiner Erste-Klasse-Flüge mit ThyssenKrupp nicht um seinen Posten in der Führung der Gewerkschaft bangen. „Wenn er sich nichts anderes vorwerfen lassen muss, dann bleibt er im Vorstand der IG Metall“, sagte Gewerkschaftschef Berthold Huber dem „Spiegel“. Huber nannte die Flüge in der teuersten Flugklasse zwar einen Fehler, nahm Eichler aber zugleich in Schutz. Wegen fünf Flügen habe sich Eichler „doch nicht in seiner Arbeit als Aufsichtsrat beeinflussen oder gar kaufen lassen“.
Huber mahnte in der Diskussion gleiche Maßstäbe für alle Vertreter der Arbeitnehmer- und der Kapitalseite an. „Offensichtlich kümmert es niemanden, ob Vertreter der Anteilseigner erster Klasse fliegen oder sich von den Tantiemen vielleicht ein privates Ferienhaus kaufen“, sagte Huber dem „Handelsblatt“. Wer die Unabhängigkeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern in Kontrollgremium anzweifle, müsse dieselben Fragen konsequenterweise auch an die Kapitalseite richten.
Mit Eichler gerät erneut die Reisepraxis bei ThyssenKrupp in die Schlagzeilen. Im vergangenen Jahr waren teure Informationsreisen mit First-Class-Flügen und Übernachtungen in Luxushotels für Journalisten bekannt geworden.