VW macht Scania-Deal perfekt und nimmt Meilenstein für Lkw-Allianz
Hannover (dpa) - Volkswagen hat freie Fahrt auf dem Weg zu einer schlagkräftigen Lkw-Gruppe unter seinem Konzerndach.
Europas größter Autobauer befreit sich in seiner Nutzfahrzeugsparte von einem entscheidenden Bremsklotz, indem er seine schwedische Lkw-Tochter Scania wie geplant komplett schluckt - mit dem Ziel, sie rasch ganz von der Börse zu nehmen. Damit sichert sich der Konzern den vollen Zugriff auf Scania, er hat ohne die restlichen Minderheitsaktionäre in Schweden künftig das alleinige Sagen. Mit der am Dienstag geglückten Komplettübernahme ist der Weg nun frei für eine engere Allianz im VW-Nutzfahrzeuggeschäft, zu dem neben Scania auch der Münchner Lkw-Bauer MAN sowie die Marke VW-Nutzfahrzeuge gehören.
Vorstandschef Martin Winterkorn sprach am Dienstag von einer „guten Nachricht für den ganzen Volkswagen-Konzern“. Am Morgen - pünktlich zum Start seiner Hauptversammlung in Hannover - hatte Volkswagen die Nachricht erhalten. Der schwedische Fonds Alecta erklärte, die Offerte der Wolfsburger anzunehmen. Er hält gut zwei Prozent am Scania-Kapital. Das Okay kam drei Tage vor Ablauf der Ende April verlängerten Angebotsfrist, mit der VW um die Papiere wirbt.
„Wir freuen uns, dass die Aktionäre von Scania unser sehr attraktives Angebot im erforderlichen Umfang angenommen haben“, ließ Winterkorn erklären. VW hatte bis Ende April Zugriff auf 88,25 Prozent aller Scania-Papiere und verlängerte die Angebotsfrist um drei Wochen, um über die notwendige Schwelle von 90 Prozent der Anteile zu kommen.
Seitdem hatte ein weiterer Investor mit 0,4 Prozent der Aktien dem Angebot zugestimmt, was aber zunächst nicht reichte. Je Anteilsschein bietet der Konzern 200 Kronen oder insgesamt 6,7 Milliarden Euro. Mit dieser Offerte lockten die Wolfsburger die Aktionäre mit einem Aufschlag von gut 50 Prozent.
Durch die Komplettübernahme will VW die interne Nutzfahrzeugallianz nun auf Trab bringen und so in den nächsten Jahren fast eine Milliarde Euro einsparen. Bei MAN hat Volkswagen bereits die volle Kontrolle.
Zwar dürfte die Zusammenarbeit der drei Marken schon bis Ende 2014 zu rund 200 Millionen Euro an Einsparungen führen. Laut VW war es bislang aber „nicht möglich, das volle Potenzial einer engeren operativen Zusammenarbeit zwischen Volkswagen und Scania sowie zwischen MAN und Scania zu realisieren“. Erst mit dem vollständigen Durchgriff traut sich VW weitere Einsparungen von jährlich mindestens 650 Millionen Euro zu. Dieses Ziel soll allerdings erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren erreicht sein. Zusammen wären das mindestens 850 Millionen Euro pro Jahr.
Dazu sollen Forschung und Entwicklung noch stärker Hand in Hand betrieben sowie der gemeinsame Einkauf zu niedrigeren Preisen vorangetrieben werden. Auch könnten mehr identische Bauteile in den Fahrzeugen der verschiedenen Marken eingebaut werden. Im Pkw-Bereich macht Volkswagen das mit seinem Baukastensystem, das zahlreiche gleiche Teile bietet, bereits vor. Winterkorn kündigte am Dienstag in Hannover auch an, dass VW das Ziel habe, das „Nutzfahrzeuggeschäft an die Spitze der Branche zu führen“. Dort steht bisher noch Daimler.
Dass sich der Großteil der möglichen Effekte bei den Nutzfahrzeugen erst Mitte oder Ende des nächsten Jahrzehnts auswirken würde, liegt unter anderem an den langen Modellzyklen von Lastwagen und Bussen. Weil von den Modellen viel weniger Exemplare als von den meisten Pkw verkauft werden, müssen sie ihre hohen Entwicklungskosten über einen längeren Zeitraum wieder einspielen. Das macht es schwieriger, die Produktion mehrerer Marken enger zu verzahnen. Winterkorn kündigte am Dienstag vor den Aktionären in Hannover an, dass seine Mannschaft derzeit an einem neuen Baukasten für leichte Nutzfahrzeuge arbeite.
Wie am Dienstag auch bekannt wurde, verlängert Volkswagen die Verträge für drei Mitglieder seines neunköpfigen Vorstandes. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Mittwoch) unter Berufung auf Konzernkreise berichtet, erneuerte der VW-Aufsichtsrat die zum Ende dieses Jahres auslaufenden Kontrakte von Rupert Stadler (Audi) sowie Christian Klingler (Vertrieb) um weitere fünf Jahre und den Vertrag für Jochem Heizmann (China) um zwei Jahre. Ein Konzernsprecher wollte sich nicht zu den einzelnen Fristen äußern, bestätigte aber die Verlängerungen an sich. Heizmann ist 62 Jahre alt, Stadler und Klingler sind Anfang 50 beziehungsweise Mitte 40.