Digitale Wirtschaft Wachstum im Onlinehandel sinkt auf Vor-Pandemie-Niveau
Während der Corona-Pandemie verzeichneter der Onlinehandel beträchtlichen Wachstum. Doch aktuelle Zahlen zeigen, dass die Deutschen ihr Geld momentan weniger in dem digitalen Markt stecken.
Da die Innenstädte durch die Pandemie leer blieben, waren viele Kunden gezwungen, auf Onlineshopping zu wechseln oder gänzlich auf Konsum zu verzichten. Neue Kunden erkundeten das Netz nach Angeboten und auch bereits erfahrene Shopper kauften mehr ein. So belief sich der Umsatz des deutschen Onlinehandels 2019 laut dem E-Commerce Verbandes BEVH noch 72 Milliarden, 2021 waren es schon 99 Milliarden. Doch auch wenn 37% Wachstum in zwei Jahren die Branche euphorisch stimmten, brachen die Zahlen 2022 ein. So ist auch der BEVH der Meinung, dass die „Party“ im Onlinehandel vorbei ist.
Nachfrageschock überrascht Onlinehandel
Viele Händler vertrauten darauf, dass sie die neugewonnen Kunden halten könnten. Es gab auch Indizien, die zu dieser Prognose einluden. Befragungen ergaben ein hohes Maß an Kundenzufriedenheit in allen Bereichen des Internethandels. Doch 2020 kehrt das E-Commerce-Wachstum nach der Lockdown-Anomalie auf den normalen Weg zurück. Händler, welche nur im digitalen Markt tätig sind, schrumpfen am wenigsten, aber gerade Multichannel-Händlern, also Läden die Produkte zusätzlich in einem Onlineshop vertreiben, verzeichnen einen deutlichen Umsatzrücklauf im Onlinegeschäft. Shopify, ein Unternehmen welches sich darauf spezialisiert hat, Unternehmen einen Online-Shop einzurichten und die Logistik zu regeln, ist nur ein Anbieter, welcher von dem Nachfrageschock überrascht wurde. Die Folge sind Entlassungen von tausend Angestellte.
Doch der Fall Shopify ist aus vielen Gründen tragisch. Durch die Lockdowns „begünstigt“ erlebte Shopify einen enormen Kundenzuwachs, da das Geschäftsmodell für viele Einzelhändler attraktiv war. Um dieses Wachstum zu bewältigen, musste natürlich auch das Personal aufgestockt werden. Damit, dass die Pandemie so plötzlich abflachte und sich das Kaufverhalten der Kunden wieder anpasste, rechnete der CEO des Unternehmens, Tobias Lütke nicht. Ebenso wenig, wie viele der neu im E-Commerce eingestiegenen Einzelhändler.
Der Alltagseinkauf wird digital
Doch auch wenn Multichannel- und reine Onlinehändler unterschiedlich stark betroffen sind, gibt es bei unterschiedlichen Artikeln ebenfalls starke Schwankungen. Der Verkauf von Möbeln und Heimcomputern sank im 2. Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 15%. Die Nachfrage nach Elektroartikel ging sogar um nahezu 20% zurück, bleibt aber damit trotzdem höher als vor der Pandemie. Andere Artikel wie Haushaltswaren, Tierbedarf oder Heimtextilien wuchsen dagegen um 6%. Die Kunden scheinen auf der einen Seite den Alltagseinkauf gerne digital zu erledigen, bei Einkäufen, bei denen sie sich gerne beraten lassen, bleiben sie dem Onlinehandel gegenüber jedoch verhalten. Von allzu großem Pessimismus rät daher auch Jakub Sadowski, Lead E-Commerce Product Manager bei GetResponse, ab:
„Das Wichtigste ist, nicht in Panik zu geraten. Vergleicht man die Daten von jedem einzelnen Jahr, kann man den falschen Eindruck gewinnen, dass sich der E-Commerce auf dem Rückzug befindet. Es ist wahrscheinlich das erste Mal, dass wir hier einen Rückgang erleben. Allerdings ist es auch normal und gesund, dass die Menschen jetzt wieder die Möglichkeit des Offline-Shoppings schätzen. Wenn wir jedoch die breitere Perspektive betrachten, kehrt das E-Commerce-Wachstum nach der Lockdown-Anomalie auf den normalen Weg zurück. Meiner Meinung nach ist E-Commerce immer noch die Zukunft und wird weiter wachsen. Der Lockdown hat uns nur davon überzeugt, dass auch der alltägliche Einkauf online stattfinden kann.“
Krieg und Energiekrise limitieren Kaufkraft
Doch der Blick in den Einzelhandel zeigt, dass die Kunden nicht unbedingt zurück in die Innenstädte wechseln. Die Lage ist dramatisch, denn die pandemiebedingt lange geschlossenen Läden verzeichnen ebenfalls keine Umsatzsteigerungen. Die Kunden halten ihr Geld beisammen, größere Ausgaben werden soweit möglich verschoben. Die explodierenden Preise für Energie und Kraftstoff sowie die allgemeine weltpolitische Situation verunsichern die Bürger und da die Entwicklung dieser Preise für viele nicht zu durchschauen ist, stellt sich ihnen die Frage, wie es bei ihnen im Winter aussieht. Der Nachfrageschock zieht sich durch ganze Branchen. Auch das ist eine Veränderung gegenüber Corona-Zeiten. Denn gerade während der Lockdowns war vielerorts die Nachfrage höher als das Angebot, viele Möglichkeiten Geld auszugeben, wie z.B. Kino, Essen gehen oder Reisen kam nicht in Frage, also gab man sein Geld anders aus. Doch mit der Lockerung der Coronaregularien wird auch in diesen Feldern wieder vermehrt Geld ausgegeben. So ist die Prognose für das Segments Reisen und Tourismus, dass für 2022 ein Umsatz von 48 Milliarden erzielt werden wird, im Vergleich zu 28 Milliarden im Vorjahr. Dieses Geld wird nun nicht mehr im Onlinehandel ausgegeben. Außerdem sind die Preissteigerungen nicht nur bei Energie, sondern auch bei den Lebensmitteln teils erheblich. Die Inflation trifft gerade die deutsche Bevölkerung unvorbereitet, selbst während der Ölkrise war die Inflation nicht so hoch, wie sie für den Herbst erwartet wird. Und Inflation führt unweigerlich zu einem Verlust der Kaufkraft. Das Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) meldet einen Kaufkraftverlust von 3%, so hoch wie nie seit Beginn der volkswirtschaftlichen Gesamtberechnung.
Die Aussichten bleiben weiter pessimistisch
Das ifo Institut erwartet für den Winter eine Rezession und weiter hohe Inflation. Erst für 2024 wird mit einer Normalisierung der Wirtschaft gerechnet. Die Auswirkungen sind gerade für die Unternehmen, die während Corona einen Umsatzeinbruch erlitten haben, schwer auszugleichen. Aber der Onlineshops, die ein Wachstum im Umsatz verzeichnet und die mit einer Konjunktur nach Corona gerechnet und deshalb ihre Rücklagen investiert haben, müssen sehen, wie sie diese Rezession überstehen. Selbst ein Eingreifen der Regierung, um die Inflation abzumildern, wird diesen Trend nicht aufhalten und viele Händler werden in die Insolvenz rutschen. Doch es gibt auch Lichtblicke, der Arbeitsmarkt wird laut dem ifo Institut stabil bleiben. Doch es gibt viele Unwägbarkeiten, die Studie stützt sich auf Annahmen zum Verlauf der Coronasituation und der Entwicklung der Energiekrise. So wird auch davon ausgegangen, dass die Gasreserven reichen. Aber auch die Wahl der Maßnahmen der Regierung um die Energiepreise können konjunkturstützend oder -schwächend ausfallen. Aber auch andere Warnungen sind in dieser Prognose nicht berücksichtigt worden. So warnt der deutsche Städtebund vor Stromausfällen in ganz Deutschland. Sollten dieses Szenario eintreten, würde dies den Onlinehandel zum Erliegen bringen. Doch diese Unwägbarkeiten lassen sich nur schwer prognostizieren und die Auswirkung noch weitaus weniger. Eins scheint jedoch unabhängig der weiteren Entwicklung klar zu sein, die „Party“ ist nicht nur im Onlinehandel vorbei.