Wall Street geht die Arbeit aus: Erste Entlassungen
New York (dpa) - Die fetten Jahre an der Wall Street scheinen schon wieder vorbei: Nachdem die Banker schon kurz nach der Finanzkrise wieder gutes Geld verdient haben, müssen sie sich jetzt Existenzsorgen machen.
Denn der einträgliche Handel mit Aktien und Anleihen lahmt.
Die Investoren halten derzeit ihr Geld zusammen statt es anzulegen. Sie fürchten die Auswirkungen der Schuldenkrise in Griechenland und die drohende Zahlungsunfähigkeit der USA. Den Bankern geht die Arbeit aus.
Eigentlich herrscht in den Handelssälen an der Wall Street Hochbetrieb. Im Sekundentakt werden hier Finanztransaktionen abgewickelt. Doch im zweiten Quartal ist es merklich ruhiger geworden, wie Citigroup-Analyst Keith Horowitz jüngst in einer Studie festgestellt hat.
Der Aktienhandel sei gegenüber dem ersten Quartal um 15 Prozent zurückgegangen, schrieb er, der Handel mit festverzinslichen Wertpapieren sogar um 30 Prozent. Zu dieser Gattung gehören die früher als so sicher eingestuften Staatsanleihen. Doch sicher scheint derzeit nichts mehr.
Die Banken verdienen am Wertpapier-Handel über Gebühren - und das Geld fehlt ihnen nun in der Kasse. Schrumpfende Gewinne sind die Folge. Die einfache und seit Jahrzehnten an der Wall Street praktizierte Lösung des Problems lautet: Leute feuern. Die Investmentbank Goldman Sachs kündigte in einem Schreiben an den Bundesstaat New York bereits an, ab September 230 Mitarbeiter zu entlassen. Eines der führenden Häuser am Platze führte kurz und knapp „wirtschaftliche“ Gründe an.
Nach Informationen der Finanz-Nachrichtenagentur Bloomberg hat der Rivale Barclays Capital bereits im Juni 100 Leute rausgeworfen, die Bank of America will demnach 60 Investmentbanker noch in diesem Monat loswerden. Die Banken selbst halten sich zu ihren Plänen bedeckt.
Niemand lässt sich gerne in die Karten schauen. Aus der Branche heißt es aber, die Gewinne im zweiten Quartal würden „überschaubar“ ausfallen - ein schlechtes Omen für die Mitarbeiter. Nun geht die Angst vor der großen Entlassungswelle um.
Die Gehälter sind der größte Kostenblock an der Wall Street und „hire and fire“ - anheuern und feuern - gehört zum Alltag. Laufen die Geschäfte, verdienen sich die Banker eine goldene Nase; dafür müssen sie immer damit rechnen, bei einem Abschwung in Nullkommanichts auf der Straße zu stehen. So haben die Investmentbanker von Goldman Sachs im vergangenen Jahr im Schnitt 431 000 Dollar eingestrichen, bei JPMorgan Chase waren es 370 000 Dollar und bei Morgan Stanley gab es immerhin noch knapp 257 000 Dollar.
Ob die Boni in diesem Jahr wieder so fett ausfallen, darf bezweifelt werden. Dafür sieht der Markt derzeit einfach zu trübe aus: Der Staatsbankrott Griechenlands ist in den Augen vieler Investoren immer noch nicht vom Tisch. Portugal bereitet ebenfalls Kopfschmerzen. Und wenn sich die politischen Lager in den USA nicht bis zum 2. August darauf einigen, die Obergrenze fürs Schuldenmachen anzuheben, können auch die Vereinigten Staaten zahlungsunfähig werden. Die großen Ratingagenturen haben bereits vor den drastischen Folgen gewarnt.
Überdies lasten neue staatliche Regeln für den Finanzmarkt auf den Instituten, die ein zweites Lehman Brothers verhindern sollen. So ist das Zocken auf eigene Rechnung inzwischen verpönt. Deswegen benötigen die Wall-Street-Häuser weniger Leute. Überdies sind die Banken angehalten, mehr Kapital als Risikopuffer vorzuhalten - weil Kapital aber nicht unendlich zur Verfügung steht, werden die Institute gezwungen sein, sich aus bestimmten Geschäften zurückzuziehen.
Die Stadtväter von New York dürften mit Sorge auf die Entwicklung schauen. Die Metropole lebt von den Steuereinnahmen der Finanzfirmen und von der Spendierfreudigkeit ihrer rund 160 000 Mitarbeiter. Als die Finanzkrise über New York hereinbrach, blieb die Kundschaft in den Restaurants aus, Läden mussten dichtmachen und Wohnungen standen massenhaft leer. Die Erinnerungen an die letzte Krise sind noch frisch.