Weniger Schwarzarbeit dank Boom - Niveau bleibt hoch
Frankfurt/Nürnberg (dpa) - Das neue deutsche Wirtschaftswunder macht es möglich: In Deutschland wird in diesem Jahr so wenig schwarzgearbeitet wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr.
Experte Friedrich Schneider von der Universität Linz ist überzeugt: „Die Schattenwirtschaft wird 2011 von 347,6 Milliarden Euro im Vorjahr auf 340 Milliarden Euro sinken. Das ist schon was.“ Das Volumen der illegal am Staat vorbei erbrachten Arbeit werde auf das Niveau von 2001/2002 sinken.
Und das nicht nur, weil sich der Arbeitsmarkt und die Konjunktur im laufenden Jahr wohl noch besser entwickeln würden als erwartet, sagt Schneider: „Wegen der Ostöffnung des Arbeitsmarktes wird die Schwarzarbeit wahrscheinlich um eine Milliarde Euro zurückgehen, weil vor allem die Polen und Tschechen etwa im Gesundheitsbereich jetzt legal bei uns arbeiten können und nicht mehr schwarzarbeiten müssen.“
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erwartet, dass vermehrt „der fleißige Mittelbau“ in Gestalt von Facharbeitern kommt und die Schwarzarbeit durch die Legalisierung abnimmt. Herbert Brücker vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) ist überzeugt: „Ganz grundsätzlich werden die Anreize für Schwarzarbeit durch die Freizügigkeit jetzt gesenkt. Wenn die Betroffenen die Chance haben, in ein normales Beschäftigungsverhältnis zu kommen, werden sie das auch wahrnehmen.“
Gerade boomende Branchen wie der Bau könnten von der Freizügigkeit und den damit für die Osteuropäer verbundenen Vorteilen eines regulären Arbeitsverhältnisses profitieren: „Das übt Anreize aus, eine Beschäftigung aufzunehmen oder ein bestehendes illegales Beschäftigungsverhältnis in ein legales umzuwandeln.“
Für Freudengesänge besteht jedoch kein Grund. „Schattenwirtschaft ist ein Massenphänomen von Konstanz bis Flensburg mit mindestens 9 bis 11 Millionen Nebenerwerbsschwarzarbeitern“, erklärt Schneider. Noch immer würde mehr als jeder achte Euro illegal verdient, der Anteil der Schattenwirtschaft an der deutschen Wirtschaftsleistung würde zwar von 13,9 Prozent auf knapp 13 Prozent sinken, wäre aber immer noch viel höher als in der Schweiz oder den USA. Durch den Ausfall von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen entstehe ein Schaden von etwa 68 Milliarden Euro.
Zudem bleibt das deutsche Grundproblem bestehen: Legale Arbeit wird so stark mit Steuern und Abgaben belastet wie in kaum einem anderen Industrieland. In der OECD-Rangliste der Länder mit der höchsten Gesamtabgabenlast 2010 liegt Deutschland bei unverheirateten Arbeitnehmern mit Durchschnittsverdienst auf Rang drei hinter Belgien und Frankreich: Von 100 Euro Arbeitskosten bleiben nach Abzug der Abgaben in der Bundesrepublik gerade einmal 51 Euro übrig.
Das sei entschieden zu viel, weiß Schneider. „Ab einer Abgabenlast von 40 Prozent setzt eine massive Verweigerungshaltung ein. Eine gute Faustregel ist: Ein Drittel Steuern und Sozialabgaben akzeptieren die Leute.“ Wenn es drüber gehe, würden Überstunden schwarz abgerechnet.
Denn Schwarzarbeit sei in Deutschland keineswegs ein Bereich, in dem sich arbeitslose Sozialschmarotzer und Ausländer ohne Arbeitserlaubnis tummelten, betont der Volkswirt: „Zwei Drittel der Wertschöpfung in der Schwarzarbeit werden von Selbstständigen und unselbstständig beschäftigten Deutschen nach Feierabend und am Wochenende nebenbei schwarz erwirtschaftet, also ungefähr 220 Milliarden Euro.“ Das restliche Drittel teilten sich zu etwa gleichen teilen Arbeitslose und Frührentner einerseits sowie Ausländer andererseits, die sich illegal in Deutschland aufhalten.
Unklar ist noch, wie sich Mindestlöhne auf die Schwarzarbeit auswirken werden, die in immer mehr Branchen eingeführt werden. Bernhard Boockmann vom Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) zitiert Modellschätzungen, nach denen Mindestlöhne in begrenztem Ausmaß die Schwarzarbeit erhöhen. Das erkläre sich so: „Bei nicht angemeldeten Arbeitsverhältnissen lassen sich Mindestlöhne nicht durchsetzen. Deshalb ist es möglich, dass Schwarzarbeit relativ zu regulärer Arbeit billiger wird.“
Diese Argumentation lässt die Gewerkschaft IG Bau nicht gelten: „Dass Arbeitgeber ihre Profitziele mit kriminellen Machenschaften erreichen, kann kein Argument sein.“ Illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit seien ein gesellschaftliches Problem, das nicht nur Löcher in die Kassen von Staat und Sozialversicherungen reißt, warnt IG Bau-Chef Klaus Wiesehügel. Es führe auch zur schleichenden Erosion des Rechtsbewusstseins.
Wie dem auch sei: Trotz des enormen Schadens ist die Akzeptanz für Schwarzarbeit enorm hoch. Wer in Deutschland privat eine Putzfrau habe, beschäftige sie in 98 Prozent der Fälle schwarz, sagt Schneider: „Manche Berufe haben wir komplett in die Schwarzarbeit übertragen.“