Interview Wirtschafts-Experte: „Dann sind wir wieder Konkurrenten“

Der Wirtschaftsprofessor Paul J. J. Welfens über Donald Trump, den Brexit und die Perspektiven für die Europäische Union.

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Wuppertal. Der Campus Freudenberg der Bergischen Universität Wuppertal. Hier hat seit 2003 das Europäische Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen seinen Sitz. Präsident ist Paul J. J. Welfens (59). Zuletzt hat er sich intensiv mit dem Zustandekommen des Brexit-Votums befasst.

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Herr Professor Welfens, der neue US-Präsident Donald Trump ist als Protektionist und Verächter von Handelsabkommen bekannt, die britische Premierministerin Theresa May baut auf ein schnelles Freihandelsabkommen mit den USA. Passt das zusammen?

Paul J. J. Welfens: Donald Trump braucht noch ein paar Verbündete und dazu zählt Großbritannien. Daher werden die beiden Staaten 2019 nach dem Ausscheiden der Briten im Grunde ein viertel TTIP-Abkommen schließen, denn Großbritannien steht heute für ein Viertel der US-Exporte in Richtung EU. Da wird es um gemeinsame Standards gehen, um damit Handelshemmnisse jenseits der Zölle abzubauen. In der Folge wird auch die Frage auf die EU zukommen, warum sie das TTIP-Abkommen nicht abgeschlossen hat. Das wäre unter Obama möglich gewesen und ist aus meiner Sicht eine vertane Chance.

Theresa May hat in ihrer Rede den Ausstieg aus dem EU-Binnenmarkt und als Ersatz ein möglichst weitgehendes Freihandelsabkommen mit der EU angekündigt. Ist auch das realistisch?

Welfens: Das glaube ich nicht. Denkbar ist, dass in bestimmten Sektoren wie Automobil, Chemie, Pharma und Maschinenbau Einigungen erzielt werden. Das wäre dann ähnlich wie mit der Schweiz, die auch viele einzelne Abkommen mit der EU hat. Aber ansonsten wird die Botschaft sein, dass auf vielleicht die Hälfte der britischen Importe EU-Zölle erhoben werden. Umgekehrt wird auch ein Teil der EU27-Exporte nach Großbritannien mit Zöllen belastet.

Mit welcher Konsequenz?

Welfens: Das ist zum Schaden beider Seiten, aber es ist ausgeschlossen, dass die EU den Briten sehr günstige Bedingungen bietet, denn die Signalwirkung nach innen wäre verheerend und eine Einladung an das nächste EU-Land, auszusteigen. Das zeigt sich jetzt bereits an einer weitgehend unbemerkten anderen Ecke: Der neue Präsident von Moldawien hat schon gesagt, das EU-Assoziierungsabkommen nicht realisieren zu wollen. Er will stattdessen der eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland beitreten. Es kann durchaus sein, dass weitere Länder in Osteuropa in den nächsten Jahren unter Druck geraten und sich auch in Westeuropa Länder wie Dänemark oder die Niederlande die Frage stellen, ob sie nicht lieber mit den Briten gehen.

Wie bewerten Sie die Gespräche, die May schon mit Australien, Neuseeland und Indien geführt hat?

Welfens: Das ist sehr sonderbar, denn formal ist es ausgeschlossen, dass Großbritannien schon Verhandlungen führt, so lange es noch Mitglied der EU ist. In dieser Zeit kann nur Brüssel Freihandelsverhandlungen führen. Es mag da eine pragmatische Lösung geben, aber an dieser Stelle ihrer Rede wird man sich in Brüssel schon gewundert haben.

Ein Argument Mays ist, die volle Kontrolle über die Immigration zurückerhalten zu wollen. Nachvollziehbar?

Welfens: Das ist eine Einbildungsproblematik, die das politische System unter Cameron schon seit 2013 aufgebaut hat. Die EU-Einwanderung in Großbritannien führt zu 0,2 Prozent Bevölkerungszuwachs pro Jahr. Studien der OECD zeigen, dass diese Zuwanderer eine höhere Beschäftigungsquote haben als die Briten im Durchschnitt und für den Staat ein Geschäft sind. Das war ein Ablenkungsthema, weil man den Zuwanderern die Schuld an der kommunalen Unterversorgung mit öffentlichen Diensten zuweisen wollte. Die hat Camaron aber durch massive Kürzungen selbst herbeigeführt. Mays Argument ist an den Fakten nicht festzumachen.

Wer ist bei den anstehenden Verhandlungen zwischen den Briten und der EU in der schwächeren Position?

Welfens: Eindeutig Großbritannien. 45 Prozent seiner Exporte gehen in die EU27-Länder. Für die EU-Länder ist das ein viel geringerer Teil, in Deutschland beispielsweise nur acht Prozent. Noch ist nicht abzuschätzen, wie sich das britische Parlament an der Stelle verhält. Das hängt auch von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ab. May will dem Parlament zwar das Verhandlungsergebnis mit der EU vorlegen. Aber es gibt ja die Klage, dass schon der Brief mit der Scheidungsabsicht durchs Parlament gehen soll. Wenn das so käme, würde der britische Verhandlungsstil wegen der Pro-EU-Haltung des Parlaments sicher etwas entgegenkommender werden. Wenn man sich aber gar nicht oder nur in wenigen Punkten einigt, würde Großbritannien auf den Status eines beliebigen Landes der Welthandelsorganisation zurückfallen, was bedeuten würde, dass für britische Produkte der übliche Zollsatz zu zahlen wäre. Daran hat die britische Wirtschaft gar kein Interesse. Aber Frau May hat schon gesagt: besser gar kein Deal als ein schlechter Deal.

Wie kann der Spagat gelingen, bei den Verhandlungen einerseits nicht noch mehr Porzellan zu zerschlagen, als schon zerschlagen ist, und andererseits den Brexit nicht zum Erfolgsmodell zu machen?

Welfens: Sicher spielen die Export- und Jobinteressen auf beiden Seiten eine große Rolle. In Großbritannien ist das Problem, dass die Finanzindustrie der größte Nettoexportsektor ist. Und die Banken können nicht darauf hoffen, in den Verhandlungen große Sonderregelungen zu bekommen. Das geht schon wegen der EU-Bankenaufsicht nicht, die ja für diese Banken dann nicht mehr gelten würde. Aber Großbritannien wird sicher versuchen, gewisse Übergangsregelungen im Finanzsektor zu bekommen. Daneben gibt es zwar ein gemeinsames Interesse gegenüber China, damit nicht zu viele chinesische Investoren Teile der Industrie übernehmen. Aber wenn Großbritannien wirklich wie von May angekündigt das erste globale Freihandels-Land werden will, sind wir auch, was die Märkte in Asien angeht, wieder Konkurrenten.

Eine These Ihres Buchs „Brexit aus Versehen“ lautet, dass das knappe Pro-Brexit-Ergebnis auf einer fehlgeleiteten Informationspolitik der britischen Regierung basiert. Aber ein zweites Referendum scheint doch mittlerweile ausgeschlossen.

Welfens: Das hängt noch von juristischen Auseinandersetzungen ab. Denn wenn der Oberste Gerichtshof Mitwirkungsrechte des Parlaments verankern würde, könnte die Diskussion um ein zweites Referendum möglicherweise doch noch mal auftauchen. Aber eine Terminbegrenzung ist die Europawahl im Frühjahr 2019: Bis dahin muss alles erledigt sein. In der Tat ist aber in der Regierungsbroschüre zur Abstimmung eine Studie des Finanzministeriums unterschlagen worden, wonach die britischen Einkommen bei einem Brexit langfristig um zehn Prozent zurückgehen werden. Sonst wäre nach unseren Berechnungen die Abstimmung anders ausgefallen.

Welche Rolle spielt Schottland in den nächsten Jahren?

Welfens: Da droht ein großes Drama. Gerade die Konservativen haben immer betont, wie wichtig es ist, die britische Union zusammenzuhalten. Aber je schlechter die Ergebnisse mit Brüssel sind, umso eher kommt die schottische Unabhängigkeit auf die Agenda. Das wird aber erst Ende 2018 der Fall sein, wenn man die Verhandlungsergebnisse kennt.

Der Brexit ist nur eine EU-Baustelle. Die nationalen Bestrebungen nehmen auch in der EU der 27 zu. Was kann die Staatengemeinschaft noch bewahren?

Welfens: Die EU muss ja ein Club sein, der einen Zusatznutzen für die Mitgliedsländer bringt. Warum sollte man sonst eine eingeschränkte Souveränität hinnehmen? Schon mit dem EU-Kanada-Ceta-Abkommen ist die EU als Zollunion wegen des Widerstandes der belgischen Regionalparlamente fast gescheitert. Dabei fehlt auch noch ein Programm für große Freihandelsabkommen mit Asien. Dort haben die zehn ASEAN-Länder einen Binnenmarkt nach EU-Modell begonnen, aber die EU hat bisher nur ein Freihandelsabkommen mit einem dieser Länder, nämlich mit Singapur. Noch hat die EU das nicht als große Aufgabe erkannt, aber die ASEAN-Länder umfassen über 600 Millionen Menschen mit hohen Wachstumsraten. Da könnte die EU-Kommission ausgesprochen nützlich sein.

Welche anderen Felder sehen Sie noch?

Welfens: Ein zweiter Punkt sind die chinesischen Investoren in Europa. Das sind oft Staatsinvestoren und es ist die Frage, ob das wünschenswert ist. Auch an dieser Stelle gibt es ein Gemeinschaftsinteresse. Da bräuchten nicht 27 Staatschefs nach China zu fahren, um mal die Regeln zu klären, sondern Herr Juncker müsste dieses Gemeinschaftsinteresse vertreten. Aber derzeit gibt es in der EU zu wenig Bereitschaft, weitere Aufgaben und Ausgaben nach Brüssel zu verlagern. Es ist eine Schwäche der nationalen Politik, die Vorteile der Union zu wenig zu erklären, beispielsweise die Beihilfenaufsicht der Kommission, die erschwert, altersschwache Industrien zu subventionieren und dabei unvernünftig viel Steuergeld auszugeben.

Folgt die Wirtschaft der Politik ins Irrationale?

Welfens: Bei den Großbanken hatte die Wirtschaft in den vergangenen Jahren schon etwas Irrationales. Was die Öffentlichkeit aber künftig unter dem Eindruck der Trump-Regierung bewegen wird, ist der Eindruck, dass Politik die Wirtschaft sehr beeinflussen kann. In den USA mag das zwei, drei Jahre funktionieren. Aber langfristig ist diese Trump-Gleichung ökonomisch nicht sinnvoll. Autos, die in China produziert werden, nehmen uns ja keine Jobs weg und werden nicht nach Deutschland importiert, sondern sorgen dafür, dass deutsche Vorprodukte nach China geliefert werden und so hier Jobs sichern. Die Rationalität des Wirtschaftens wird längerfristig die Oberhand gewinnen.

Was macht Ihnen mit Blick auf die EU Hoffnung?

Welfens: Man muss darauf vertrauen, dass die junge Generation ihre eigenen Vorstellungen entwickelt. Wir haben ja bei der Brexit-Abstimmung gesehen, dass sich die jungen Leute überwiegend für Europa ausgesprochen haben. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich unter dem Eindruck von Brexit und der Trump-Wahl neu organisieren. Das Europa der Städtepartnerschaften, das Europa von unten, muss stärker belebt werden und dabei müssen die jungen Leute eine stärkere Rolle spielen.