Wirtschaftsweise: Aufschwung verliert leicht an Tempo

Frankfurt/Main (dpa) - Der Konjunkturaufschwung in Deutschland verliert nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen wegen der Abkühlung in China und anderen Exportmärkten etwas an Tempo.

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Der Sachverständigenrat korrigierte am Mittwoch seine Prognose für dieses Jahr leicht nach unten. Die fünf Top-Ökonomen rechnen nun mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 1,5 Prozent, zuletzt waren sie von 1,6 Prozent ausgegangen. Folgen durch die Terroranschläge in Brüssel erwarten die Experten nicht.

„Die Konjunkturaussichten werden dadurch nicht nichtig“, sagte der Vorsitzende des Beratergremiums, Christoph Schmidt, in Frankfurt am Main. „Aber sie lassen das, was wir hier diskutieren, verblassen.“

Vor allem die Konsumausgaben der Verbraucher und auch die Ausgaben des Staates für die Unterbringung und Integration Hunderttausender Flüchtlinge sowie die gute Lage am Arbeitsmarkt treiben die Konjunktur demnach an. Der Export dürfte als Wachstumsmotor hingegen ausfallen. Im kommenden Jahr soll die Wirtschaft dann etwas stärker um 1,6 Prozent zulegen.

Die Ökonomen gehen weiterhin davon aus, dass die Ausgaben für die Flüchtlinge in diesem und im nächsten Jahr ohne neue Schulden gestemmt werden können. Die Mehrausgaben einschließlich Verwaltungsausgaben schätzen die Experten auf 13,7 Milliarden Euro 2016 und auf 12,9 Milliarden Euro im kommenden Jahr.

Auf dem Arbeitsmarkt wird sich der Flüchtlingszustrom erst im kommenden Jahr stärker bemerkbar machen. Derzeit führten Engpässe bei den Asylverfahren zu erheblichen Verzögerungen bei der Arbeitsmarktintegration, erklärten die Ökonomen. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Jobsucher nur leicht auf etwas über 2,8 Millionen steigen. 2017 könnte sie sich der 3-Millionen-Marke annähern.

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die deutsche Wirtschaft zum Jahresanfang gegenüber dem Vorquartal um 0,5 Prozent gewachsen. Dieses hohe Tempo werde sie aber „im weiteren Jahresverlauf nicht ganz halten können“, sagte das DIW voraus.

Am Laufen gehalten wird die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen vor allem durch die Konsumfreude der Verbraucher. Sie haben dank der niedrigen Inflation und Tarifabschlüssen, die voraussichtlich auch in diesem Jahr über der Preissteigerungsrate liegen, mehr im Portemonnaie.

In diesem Jahr rechnen die Experten wegen des Ölpreisverfalls mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von nur 0,3 Prozent. 2017 sollte die Inflation auf 1,4 Prozent anziehen. Sie läge damit weiter unter der von der Europäischen Zentralbank angestrebten Marke von knapp 2 Prozent. Im Kampf gegen die Mini-Inflation im Euro-Raum hatten die Währungshüter erst kürzlich ihre Geldflut massiv ausgeweitet und den Leitzins im Euroraum auf null Prozent gesenkt.

Die Wirtschaftsweisen sehen dies mit Sorge. „Die lockere Geldpolitik kann erhebliche Nebenwirkungen haben“, sagte Ökonomin Isabel Schnabel. Sie setze die Profitabilität der Banken immer stärker unter Druck und mindere den Reformdruck in Europa. „Die EZB hat deutlich stärker reagiert als in der Vergangenheit, das ist schon begründungswürdig“, ergänzte der Wirtschaftsweise Volker Wieland. Die Gefahr einer gefährlichen Deflation - also einer Spirale sinkender Preise, die die Konjunktur abwürgen kann - sehen die Wirtschaftsweisen nicht.

Geringere Impulse für die exportorientierte deutsche Wirtschaft als noch im Herbst erwarten die Experten aus dem Ausland. Die Konjunkturabkühlung in China und den übrigen Schwellenländern dürfte etwas stärker ausfallen als zuletzt angenommen. Zudem entwickele sich die Konjunktur in einigen großen Industrieländern, wie Japan und dem Großbritannien, etwas schwächer als prognostiziert.

Risiken für die Konjunktur sehen die Experten in der Wiedereinführung von Grenzkontrollen wegen des Flüchtlingszustrom. Sollten die Personenkontrollen im Schengen-Raum für längere Zeit fortbestehen, würde der Warenverkehr innerhalb Europas behindert, warnte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - wie das Gremium offiziell heißt. „Entscheidend ist die Dauer der Maßnahmen“, sagte Ökonom Schmidt. Der volkswirtschaftliche Schaden lasse sich aber nicht beziffern, ebenso wenig wie ein möglicher Austritt Großbritanniens (Brexit) aus der Europäischen Union.