Zetsche: In Indien entscheidet sich Daimlers Lkw-Zukunft
Oragadam/Stuttgart (dpa) - Daimler will den boomenden Lkw-Markt in Indien nicht mehr der Konkurrenz überlassen. Die Wende bringen soll ein eigenes Werk für überwiegend lokal produzierte Laster. Der Alleingang der Schwaben hat aber auch seine Tücken - noch fehlt etwa ein dichtes Händlernetz.
Konzernlenker Dieter Zetsche und sein Nutzfahrzeugchef Andreas Renschler eröffneten am Mittwoch im indischen Oragadam ein Lkw-Werk und bliesen zum Angriff auf die Wettbewerber. Laut ihrer Kampfansage wollen die Stuttgarter in Indien schon bald jedes Jahr Zehntausende Laster der neuen Daimler-Marke Bharat-Benz verkaufen. Sie soll die für Indiens Straßen nötige Schlichtheit mit hohem technischen Standard vereinen.
Mehr noch: Zetsche erklärte das Wagnis in Indien zur Nagelprobe für die gesamte Lastwagensparte der Schwaben. „Auf lange Sicht gesehen könnte man sagen: "Wenn Du es hier nicht schaffst, schaffst Du es überhaupt nicht“, sagte Zetsche in seiner Rede. Indien ist bereits heute der weltweit drittgrößte Lkw-Markt und wächst schnell. Renschler zufolge machte Daimlers Zielsegment moderner, robuster Lkw im Jahr 2010 gerade einmal vier Prozent des gesamten indischen Lastwagenmarktes aus. „2020 wird diese Zahl auf fast 80 Prozent angestiegen sein.“ Genau diesen Trend wolle Daimler nutzen und dafür die günstigen lokalen Produktionskosten des Landes mit Know How aus dem globalen Daimler-Netz kombinieren, darunter Japan und die Türkei.
Der deutsche Konzern spielt bisher praktisch keine Rolle auf dem indischen Nutzfahrzeugmarkt, dem Experten weiterhin atemberaubendes Wachstum vorhersagen, so dass er bald schon zum global größten Markt China aufschließen könnte. „Er wird bis zum Ende des Jahrzehnts zur Nummer zwei aufsteigen“, unterstrich Zetsche. In China baut Daimler Lkw zusammen in einem Joint Venture mit dem chinesischen Lkw-Bauer Foton.
In Indien aber reden die Schwaben bisher lediglich ein Wörtchen mit im kleinen Premiumsegment der starken Lkw, die etwa für die Arbeit in Minen gebraucht werden. Denn seit 2007 exportieren sie ihr Flaggschiff Actros auf den Subkontinent. Vergangenes Jahr kamen von dem Modell jedoch nur gut 200 zusammen. Das Volumengeschäft machen andere, etwa Marktführer Tata, der rund 70 Prozent Anteil hat. Es folgen Ashok Leyland und Eicher. Nun will Daimler das Feld von hinten aufrollen - alleine und so zu 100 Prozent auf eigenes Risiko.
Ausgangspunkt für die geplante Aufholjagd ist das neue Werk in Oragadam, das Daimler für gut 700 Millionen Euro Kosten binnen zwei Jahren aus dem Boden stampfte - Testgelände und Forschung inklusive. Die Logistikstränge der Fabrik sind für das Unternehmen eine Premiere. Die 100-prozentige Tochterfirma Daimler India Commercial Vehicles leistet den Bau der Bharat-Benz-Laster den Angaben zufolge zu 85 Prozent mit Hilfe lokaler Zulieferer aus Indien. Der Rest kommt aus Daimler-Regalen in Übersee.
In Indien wagt sich Daimler nun ohne lokalen Partner ins Geschäft - das frühere Joint Venture mit der Hero Group war in der Finanzkrise zerbrochen. Der Alleingang verspricht zwar ungeteilte Gewinne - aber andererseits ist er auch eine Achillesferse. Daimler fehlt noch ein flächendeckendes Händlernetz. Die Stuttgarter müssen vorhandene Verkäufer bewegen, neben deren etablierten Marken künftig auch Bharat-Benz anzubieten. Ende des Jahres will Daimler in Indien Händler an 70 Standorten haben. Bis 2014 sollen es 100 Orte sein.
Hans Luedecke aus dem Daimler-Management in Indien sagte vor Journalisten, dass sein Team 2013 rund 12 000 Bharat-Benz in Indien verkaufen wolle; 2014 dann schon 36 000. Bei dieser Zahl endet die aktuelle Kapazität des neuen Werkes, das aber von 2014 an rechtzeitig auf gut 70 000 Fahrzeuge Jahresleistung ausgebaut werden soll. 2011 stand Indiens Lkw-Markt für gut 330 000 Fahrzeuge.
Wann sich das teure Indienprojekt für Daimler laut Geschäftsplan in der Gesamtrechnung erstmals auszahlen könnte, wollte Truck-Chef Renschler nicht verraten. Er sagte nur, alles sei auf bestem Wege und er sehr zuversichtlich. Ob Daimler Bharat-Benz womöglich irgendwann von Indien aus exportieren wolle - etwa nach Afrika - ließ Renschler offen. Jetzt geht es zunächst erst einmal um den Start in Indien.