Zumal im Kontrast zu leuchtendem Feuerrot oder durchdringendem Gelb. Nicht nur in Kirchenfenstern von Mainz und Reims und den Riesen-Formaten in der New Yorker Metropolitan Opera. Sondern auch auf seinen Bildern. Besonders auf denen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris entstanden: Marc Chagall.
1948 kehrte Chagall (1887-1985) aus seinem New Yorker Exil zurück an seinen Sehnsuchtsort. Bereits in den 1910er und 1920er Jahren kam der im heutigen Belarus geborene Künstler – neben Picasso und Matisse einer der ganz Großen des 20. Jahrhunderts – in die Künstlerstadt an der Seine. Und wurde von kubistischer Malerei und Konstruktivismus beeinflusst. Zu sehen auf einigen Gemälden, die Chagall ab 1911 in seinem Pariser Atelier schuf. Zahlreiche seiner wesentlich düsteren Frühwerke, die bisher kaum ausgestellt wurden, zeigt jetzt eine umfassende Marc-Chagall-Ausstellung, die bis zum 8. August in der Kunstsammlung NRW (K 20) in Düsseldorf zu sehen ist.
Viele Gemälde aus
Chagalls jungen Jahren
Dass die Mehrheit der insgesamt 120 Werke (darunter 67 Gemälde, Grafiken und eine Skulptur) aus Chagalls jungen Jahren stammt, macht die Schau zu einem spektakulären Kunst-Erlebnis. Zumal vor zwei Jahren erst das (einst von Nazis gestohlene) Porträt seines Vaters („Der Vater“ von 1911) in einer Auktion für 7,4 Millionen US-Dollar unter den Hammer kam. Nach dem Wiener Albertinum ist der Düsseldorfer Grabbeplatz nun der einzige Ort in Deutschland, an dem die ungewöhnliche Entwicklung des weltberühmten Chagall nachzuvollziehen ist. Mit drei Bildern aus eigenem Besitz (unter anderem „Geigenspieler“ und „Rabbiner mit Zitrone“) und zahlreichen Leihgaben aus New York, London, Paris, Amsterdam und dem Wuppertaler Von der Heydt-Museum. Ein Blockbuster-Event, das bereits in Wien in wenigen Monaten eine halbe Million Besucher anlockte.
Was Chagall so einzigartig macht, sind nicht nur die Farben, sondern auch die dargestellten Motive und Geschichten – in denen er immer wieder (auch als 80-jähriger Maler) seine Heimat und seine jüdischen Wurzeln reflektiert. Das betont Kuratorin Susanne Meyer-Büser, die in Düsseldorf die Frühphase in den Vordergrund stellt. Chagall verzichtete als junger Mann zwar auf vordergründige Ritual-Symbole (wie Schriftrollen oder jüdische Kerzenleuchter), stellt stattdessen häufig den Alltag seiner verarmten Familie dar und besinnt sich auch später gerne auf russisch-jüdische Folklore. Düstere Stimmung vermitteln die Bilder „Der Sabbath“, „Das gelbe Zimmer“ oder „Russland, den Eseln und den anderen“. Sicherlich erkennt man hier auch eine (wenn auch indirekte) Kritik an der Gesellschaft des Zarenreichs. Auf ganz frühen Bildern hinterlässt das schwere Leben der Menschen dunkle Spuren, wie auf dem Bild „Der Tod“. Auf manchen Exponaten kennt er als junger Maler keine Rücksicht. Meyser-Büser: „Es wird getrunken, geprügelt, uriniert und prostituiert.“
In der ersten Pariser Phase (1911-1914) geht er dann mit sprühender Leichtigkeit ans Werk, experimentiert mit der Formsprache des Kubismus einer Sonja Delaunay. Aber dass er die geometrischen Formen mit Märchen und russischer Folklore verband und sich als Freigeist niemals einer Künstlergruppe anschloss, machte ihn zum ‚Ausnahmetalent der Moderne‘. Und schon früh zum Liebling auf dem Kunstmarkt. Jedoch nicht in Paris, sondern in einer Berliner Galerie war eine seiner ersten Ausstellungen komplett ausverkauft. Und Chagall konnte mit seiner Familie gut von seiner Kunst leben.
Fatalerweise ging er 1914 zurück in seine Heimat, die Kleinstadt Witebsk (damals Zarenreich, heute Belarus) und zog erst 1923, nach Erstem Weltkrieg und Russischer Revolution, wieder an die Seine. Acht Jahre blieb er dort, war anfangs fasziniert von revolutionären Versprechen wie von gesellschaftlicher Gleichheit. In Moskau und St. Petersburg hinterließ er künstlerische Spuren, bevor er 1922 wieder über Berlin nach Paris ging. Ein Wermutstropfen: Für die Düsseldorfer Ausstellung vorgesehen waren epochale Chagall-Bilder aus Moskaus erster Adresse, der Tretjakow-Galerie. Wegen des Ukraine-Kriegs und Sanktionen fehlen aber Bilder wie „Der Spaziergang“ (1917). Hier wirkt sich internationale Politik und der Krieg direkt auf den Museumsbetrieb aus.
Verzichten muss der Besucher indes nicht auf das Spätwerk, das millionenfach auf Postern und Druckgrafiken reproduziert wurde und den Mythos Chagall ausmacht. Zu bewundern sind die großen Ölbilder auch des alten Meisters – seine wunderbar leuchtenden, manchmal süßlich wirkenden Blumen-Stillleben und Farbenspiele mit fliegenden Brautpaaren, schwebenden Eseln und Fabelwesen. Als Fantast und Träumer gibt er bei längerem Verweilen vor den Bildern immer wieder Rätsel auf. Er träumte bis weit in die 1970er/80er Jahre hinein – und näherte sich surrealen Welten mit fliegenden Kühen und himmelsstürmenden Liebespaaren. Konnte aber mit orthodoxem Surrealismus genauso wenig anfangen wie mit abstrakter Malerei.
Fazit: Bei aller Scheu vor Superlativen gehört diese Retrospektive zu den spannendsten Ausstellungen im K 20 der vergangenen zehn Jahre. Zumal viele von Chagalls späten Meisterwerken (aus den 1980ern) allein durch strahlende Farbenpracht beflügeln wie nur selten. Sie machten vor mehr als 40 Jahren Chagall für ein großes Publikum zum Weltstar der Kunst.