Der Helm muss runter - Erste Hilfe bei Motorradunfällen
Berlin (dpa/tmn) - Wenn es im Straßenverkehr kracht, sind Zeugen und Unfallbeteiligte zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet. Dafür benötigen sie grundlegende Erste-Hilfe-Kenntnisse. Für die Erstversorgung von verunglückten Motorradfahrern ist besonderes Wissen notwendig.
30 664 - so hoch ist die Zahl der Motorradfahrer, die nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts 2011 auf Deutschlands Straßen verunglückt sind. Im Vergleich zum Jahr davor ereigneten sich 13,7 Prozent mehr Motorradunfälle. Das ist nach Einschätzung der Statistiker auf das besonders milde Frühjahr 2011 zurückzuführen. 9881 Biker wurden schwer verletzt, für 706 endete der Unfall tödlich. Wenn es kracht, können die Kenntnisse von Ersthelfern über Leben und Tod oder die Genesungschancen von Bikern entscheiden. Wer zuerst vor Ort ist, wird bei Motorradunfällen unter Umständen mit besonderen Fragen konfrontiert.
Den Motorradhelm auflassen oder abnehmen?
Bei einem bewusstlosen Motorradfahrer muss der Helm abgenommen werden. Darüber herrscht beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), der Johanniter-Unfall-Hilfe und anderen Organisationen, die Ersthelfer ausbilden, Einigkeit. Bewusstlose Unfallopfer schweben immer in akuter Lebensgefahr, da die erschlaffte Zunge die Atemwege blockieren kann. Verunglückte Biker haben zudem häufig ein Schädel-Hirn-Trauma. „Symptomatisch ist dabei das Erbrechen, was ebenfalls zum Ersticken führen kann“, erklärt DRK-Bundesarzt und Notfallmediziner Prof. Peter Sefrin. Um die Atemwege freizumachen, muss der Kopf sanft nach hinten gebeugt und der Mund geöffnet werden, was mit Helm nicht möglich ist.
Wie wird der Helm richtig entfernt?
„Der Motorradhelm muss sehr vorsichtig abgenommen werden“, betont Sefrin. Wenn die Halswirbelsäule des verunglückten Fahrers verletzt sei, könne eine ruckartige Bewegung seines Kopfes eine Lähmung zur Folge haben. Zuerst wird nach DRK-Angaben das Helmvisier aufgeklappt, der Kinnriemen geöffnet und der Kopfschutz behutsam in Längsrichtung vom Körper weg soweit abgezogen, bis der Helfer mit der einen Hand den Hinterkopf stützen kann. Danach den Helm komplett herunterziehen, wobei Kippbewegungen des Kopfs zu vermeiden sind. Falls ein zweiter Ersthelfer am Unfallort ist, sollte er mit anfassen - „das macht die Sache einfacher“, sagt Sefrin. Dann wird der Kopf des Motorradfahrers vorsichtig auf dem Boden abgelegt und die Atmung überprüft.
Wie kontrolliert man die Atmung?
Das geht am besten, wenn sich der Ersthelfer mit seinem Kopf über das Gesicht des Verletzten beugt und dabei auf dessen Brustkorb schaut: „So kann man gleichzeitig den Atem hören, an der Wange spüren und sehen, ob sich der Brustkorb hebt und senkt“, erklärt Sefrin. Ist nichts davon der Fall, sollte der Ersthelfer mit der Wiederbelebung beginnen - nach Möglichkeit 30 Herzdruckmassagen und zwei Atemspenden im Wechsel, bis der Rettungswagen eintrifft. „Am wichtigsten ist dabei die Herzdruckmassage“, sagt Sefrin. Die Mund-zu-Mund-Beatmung sei verzichtbar, wenn der Helfer sie nicht machen will oder kann.
Wie bringt man einen verletzten Kradfahrer in Sicherheit?
Liegt ein verletzter Biker mitten auf der Straße, sollte er am Fahrbahnrand in Sicherheit gebracht werden. Das geht wie bei allen Unfallopfern, die sich nicht aus eigener Kraft bewegen können, am besten mit einem speziellen Rettungsgriff. Dafür wird der Betroffene leicht aufgerichtet, damit der Helfer die eigenen Arme unter seinen Achseln hindurchschieben kann. Dann mit beiden Händen einen Unterarm des Verletzten fassen, so dass dieser quer vor dessen Brust liegt. „Daumen und Finger liegen dabei nebeneinander (nicht den Arm umklammern), um keinen Druck auf die Magengrube auszuüben“, heißt es in einer Anleitung des ADAC. Bei Motorradfahrern ist besonders darauf zu achten, dass der Kopf nicht kippt.
Darf man bewusstlose Biker in die stabile Seitenlage bringen?
Wenn ein Unfallfahrer zwar bewusstlos ist, aber selbstständig atmet, sollte er an einer sicheren Stelle in die stabile Seitenlage gebracht werden, empfiehlt die Johanniter-Unfall-Hilfe. Auch wenn die Halswirbelsäule womöglich verletzt ist, sei das sinnvoll. Wichtig ist auch hier, den Kopf zum Schutz vor einer Lähmung möglichst wenig zu bewegen. Die Seitenlage hat den Vorteil, dass Blut und Erbrochenes abfließen können und die Atemwege frei bleiben.
Sollte das Unfallopfer entkleidet werden?
Davon rät Sefrin ab: „Bei stark blutenden Wunden oder inneren Verletzungen kann eng anliegende Motorradkleidung wie ein Druckverband wirken.“ Auch halte sie den Verletzten warm, das sei im Sommer wie im Winter gleichermaßen wichtig. „Jeder zweite Schwerverletzte kommt im Sommer unterkühlt in die Klinik, was zu großen Problemen bei der intensivmedizinischen Versorgung und der Nachbehandlung führen kann“, so der DRK-Arzt. Durch eine Unterkühlung könnten zum Beispiel der Zuckerstoffwechsel und die Funktion von Herz und Nieren schwer gestört sowie das Immunsystem unterdrückt werden. Daher sollten Verunglückte immer mit der Rettungsdecke aus einem Kfz-Verbandskasten eingehüllt werden - auch im Hochsommer.
Welche Verletzungen müssen zuerst versorgt werden?
Häufig brechen sich Kradfahrern bei einem Sturz die Knochen in Armen und Beinen oder die Hüfte. Zunächst sollten Ersthelfer sichtbare Frakturen und stark blutende Wunden an freiliegenden Körperstellen mit Verbänden bedecken. „Hautabschürfungen und kleinere Schnitte sind zu vernachlässigen“, erläutert Sefrin. Wenn Biker bei einem Unfall unter einer Leitplanke hindurchrutschen, können dabei sogar Gliedmaße abgetrennt werden, „gerade die Beine sind gefährdet“. In diesem Fall rät Sefrin, den Stumpf mit keimfreiem Verbandszeug abzudecken. Oft stoppe die Blutung kurz danach. „Das Amputat sollte schnell in eine sterile Kompresse oder ein Verbandtuch gewickelt, in eine Plastiktüte gesteckt und dem Rettungsdienst übergeben werden.“
Kann man als Ersthelfer für Fehler bestraft werden?
Bei einem Verkehrsunfall sind Zeugen und Unfallbeteiligte zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet. „Helfer müssen das objektiv Mögliche und subjektiv Zumutbare tun“, sagt Frank Häcker, Fachanwalt für Verkehrsrecht in Aschaffenburg. Sein eigenes Leben muss also niemand aufs Spiel setzen, um anderen zu helfen. Machen Laien bei Rettungsmaßnahmen Fehler, brauchen sie keine rechtlichen Konsequenzen zu fürchten. Wer aber untätig bleibt, muss sich auf eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr gefasst machen. Sefrin empfiehlt, die Erste-Hilfe-Kenntnisse alle fünf Jahre aufzufrischen.
Info-Kasten: Immer erst die Unfallstelle sichern
Bevor sich Ersthelfer nach einem Verkehrsunfall um Verletzte kümmern, müssen sie die Unfallstelle sichern. Das eigene Fahrzeug sollte mit eingeschaltetem Warnblinker nicht zu dicht am Unfallort und möglichst weit rechts am Straßenrand abgestellt werden, damit Platz für Rettungsfahrzeuge bleibt, erläutert der Auto- und Reiseclub Deutschland (ARCD). Am besten ziehen Helfer noch im Auto eine Warnweste an, bevor sie gut sichtbar am rechten Straßenrand ein Warndreieck aufstellen. Der Abstand zum Unfallort sollte dem ARCD zufolge innerorts 50 Meter, außerorts 100 Meter und auf Autobahnen 200 Meter betragen. Sobald sich Helfer ein Bild von der Lage gemacht haben, sollten sie den Notruf absetzen und anschließend mit den Rettungsmaßnahmen beginnen.