Die „digitale Revolution“ auf vier Rädern naht
Hannover (dpa) - Vor 125 Jahren unternahm Bertha Benz die erste Fernfahrt - ein Meilenstein. Nun steht in der Geschichte des Automobils die nächste Revolution vor der Tür, die digitale. Diese Umwälzung könnte nicht nur das Autofahren verändern, sondern die ganze Branche.
Nicht weniger als eine Zeitenwende in der Geschichte des Automobils soll es sein. Mehr Sicherheit, mehr Komfort, weniger Staus, weniger Kraftstoffverbrauch, mehr Klimaschutz - und Autos, die von selbst fahren. Das alles verspricht sich die Branche von der „digitalen Revolution“. Kern ist das vernetzte Auto. Die Car-IT ist einer der großen Schwerpunkte bei der 65. Ausgabe der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA (12. bis 22. September) in Frankfurt.
Dabei rückt auch der Traum vom vollautomatischen Fahren näher: Das Auto steuert - der Fahrer liest, sichtet E-Mails oder schläft. „In 10 bis 15 Jahren wird das auf vielen Strecken Realität sein“, verspricht der Präsident des Branchenverbandes VDA, Matthias Wissmann. Er nennt das dafür nötige System „elektronisches Band“. In dem sind die Autos vollständig miteinander vernetzt, über elektronische Sensoren im Auto sowie an den Leitplanken und Begrenzungspfosten an der Autobahn. Die Autos fahren selbstständig in Reihe, immer im richtigen Abstand.
„Das wäre eine Revolution beim Auto, wie die Einführung des Fließbandes bei Ford und damit die Massenfertigung von Autos“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Das vernetzte Auto erhöhe zum Beispiel die Sicherheit im Straßenverkehr, heißt es in einem VDA-Papier: „Wenn wir schon vorher wissen, dass zum Beispiel ein Fußgänger die Straße passiert oder ein Motorrad um die Ecke schnellt, können Unfälle vermieden werden. Unser Fahrzeug bremst, noch ehe wir reagieren.“
Allerdings ist das „elektronische Band“ nicht die einzige Vision für das automatisierte Fahren. So setzt Google, dessen Roboter-Wagen bereits mehr als eine halbe Million Kilometer auf US-Straßen zurückgelegt haben, eher auf Sensoren am Auto selbst, mit denen es die Umwelt erfassen kann. Schließlich dürfte es lange dauern, bis viele Fahrzeuge miteinander kommunizieren können und die Straßen entsprechend ausgestattet sind, gibt der Wissenschaftler Sebastian Thrun zu bedenken, der das Projekt bei Google in Gang gebracht hat.
Aber nicht nur die Welt der Autofahrer steht vor einer Revolution, sondern auch die der Autobauer und Zulieferer. „Themen wie Datensicherheit, Datenvolumen und Transport in Netzen machen einen wichtigen Teil für autonomes Fahren aus. Und genau darin haben die Autobauer und Zulieferer heute wenig Know-How“, sagt Dudenhöffer.
An dieser Stelle kommen Software-Hersteller und IT-Unternehmen ins Spiel. Die Autobauer würden sicher die „Gesamtarchitektur“ definieren, glaubt Dudenhöffer. Die einzelnen Komponenten aber kommen von Zulieferern und IT-Spezialisten - wie Google oder Apple.
Für die Hersteller mache es wenig Sinn, sich in Eigenregie um Wetter- oder Navigationsdaten oder das Musik-Streaming zu kümmern, betont die Managementberatung Oliver Wyman. Sinnvoller seien Allianzen - wie etwa im Fall Continental. Conti gab jüngst eine Zusammenarbeit mit dem Netzausrüster Cisco bekannt. „Bei Continental glauben wir, dass das Internet nicht nur ins Auto kommt, sondern dass das Auto Teil des Internets wird“, sagt der Chef Elmar Degenhart.
Die Geschäftsaussichten für Car-IT sind glänzend. Nach einer Prognose von Oliver Wyman sind 2016 weltweit bereits rund 50 Prozent Neuwagen mit vernetzten Diensten unterwegs. Sicherheit und Fernwartung, Flottenmanagement, Mobilität, Navigation, Infotainment, Versicherungen sowie Bezahlsysteme - für die Branche sei die „digitale Revolution“ im Wagen ein Milliardenmarkt.
Die Dimensionen des Themas gehen aber längst über die Mobilität hinaus. Volkswagen etwa testet Elektroautos als intelligente Zwischenspeicher für die Energie von Morgen. Hier treffen sich zwei Kostentreiber, bei denen es um Milliardenausgaben für die Forschung und Entwicklung bei den Autobauern geht: Vernetztes Fahren und alternative Autoantriebe.
Autoexperte Stefan Bratzel gibt zu bedenken, die Hersteller müssten sich auch den viel kürzeren Innovationszyklen der IT-Branche anpassen. Die neuen Player der Branche wie etwa Google könnten die Geschäftsmodelle nachhaltig verändern. Auch deshalb tue die Autoindustrie gut daran, die Vorteile des vernetzten Fahrens den Kunden in kleinen Schritten nahezubringen. „Komfort und Sicherheit sollten die Maximen sein.“
Die Vorstellung, bald wie im Science-Fiction-Film per Autopilot dahinzugleiten, hat aber auch ihre Kritiker. „Die Heilsgeschichte, die uns da vorgeführt wird, ist Nonsens, wenn es um eine "Vision" gehen soll“, warnt der Greenpeace-Autoexperte Wolfgang Lohbeck. „Es geht eigentlich darum, dass weiter Auto gefahren werden soll.“