Wie Autos schneller um die Ecke kommen
Wolfsburg (dpa/tmn) — Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade - schöner ist die Kurve. So sehen es jedenfalls viele Autolenker. Damit nicht nur Rennpiloten, sondern auch normale Fahrer mehr Querdynamik genießen können, hilft moderne Technik.
Für die Grundlagen der Fahrphysik genügt bisweilen ein Blick auf den Kinderspielplatz. Denn so, wie der Nachwuchs vor Freude quiekt, wenn ihn die Fliehkraft auf dem Karussell nach außen drückt, so wirkt die sogenannte Querbeschleunigung auch auf viele Autofahrer: Je schneller die Kurven, desto breiter das Grinsen.
Allerdings braucht man für gewöhnlich schon einen Sportwagen mit tiefem Schwerpunkt und strammem Fahrwerk, wenn den Radien flott folgen möchte. Oder man muss zu technischen Hilfsmitteln greifen. So gelingt es, auch den Fahrern von ganz normalen Familienautos, Kompaktfahrzeugen oder Geländewagen ein bisschen mehr Fahrspaß zu gönnen. Dazu haben die Autohersteller in den vergangenen Jahren eine Reihe von Systemen entwickelt, die ihre Modelle buchstäblich schneller um die Ecke bringen.
Schon 2007 führte BMW im X6 das erste aktive „Torque Vectoring System“ ein: Ein spezielles Hinterachsgetriebe ermöglicht es, in engen Kurven das äußere Rad mit mehr Drehkraft zu versorgen. „So wie ein Boot seine Richtung ändert, wenn man auf einer Seite stärker rudert, so dreht es den X6 damit stärker in die Kurve“, erläutert Entwickler Heinz Krusche. Obwohl fast fünf Meter lang und rund zwei Tonnen schwer, lässt sich der Riese flink auch durch enge Slalomgassen lenken.
Während BMW als einer der wenigen Autobauer auf ein aktives System setzt, nutzen andere Hersteller eine passive Lösung. Je nach Antriebskonfiguration bremsen deren Fahrzeuge mit dem ESP jeweils das innere Vorder- oder Hinterrad ein wenig ab und erreichen so einen ähnlichen Effekt, erläutert Krusche.
Weil abbremsen natürlich nicht so recht zu einem sportlichen Auto passt, hat sich VW etwa beim neuen Golf GTI wie die Münchener Konkurrenz ein aktives System entwickelt: die elektronisch geregelte Vorderachs-Differentialsperre. Ihr Herzstück ist eine Lamellenkupplung, mit der die Steuereinheit die Kraftverteilung zwischen den beiden Vorderrädern regelt, erläutert Pressesprecher Pietro Zollino. Sie kann stufenlos bis zu 100 Prozent der Kraft nach außen leiten, wenn das innere Rad an Haftung verliert. Das Ergebnis ist spürbar: Der GTI fährt fast so um die Ecke, als würde jemand das Heck in Sekundenbruchteilen herumheben.
Zwar bieten sich solche Systeme vor allem bei Autos an, die per se nicht auf kompromisslose Sportlichkeit ausgelegt sind. Aber auch Sportwagenhersteller nutzen sie. So hat Porsche bei den neuen 911-Varianten GT3 und Turbo eine Hinterachslenkung eingebaut - bislang kannte man diesen Trick vor allem von großen BMW-Limousinen oder manchen Varianten des Renault Laguna.
Bei Porsche ermöglicht die Technik, die Hinterräder je nach Geschwindigkeit um bis zu 2,8 Grad einzuschlagen. Bei niedrigem Tempo geschehe das entgegengesetzt dem Lenkeinschlag an der Vorderachse, erläutert Pressesprecher Holger Eckhart. Das Auto lenke dann leichter ein und fühle sich wendiger an: „Als hätte man den Radstand um 25 Zentimeter gekürzt.“ Fährt der Wagen schneller, arbeiten Vorder— und Hinterachse in der gleichen Richtung. Das wirkt, als wäre der Radstand 50 Zentimeter länger, sagt Eckhart und verspricht mehr Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten.
Während die Ingenieure bei konventionellen Fahrzeugen für mehr Kurvendynamik noch tief in die Trickkiste greifen müssen, haben sie bei Elektroautos manchmal ganz andere Möglichkeiten. Ford arbeitet an einem Fiesta-Prototypen mit elektrischen Radnabenmotoren, die völlig neue Wege eröffnen. „Im Prinzip können wir die einzelnen Motoren sogar in entgegengesetzter Richtung laufen lassen und den Wagen so wie ein Kettenfahrzeug auf der Stelle drehen“, erläutert Ingenieur Roger Graaf.
Und auch die vier E-Motoren des Mercedes SLS electric drive lassen sich laut dem Entwicklungschef bei Mercedes-AMG, Tobias Moers, so programmieren, „dass die Lenkung fast überflüssig wird“: Jedes Rad könne einzeln angesteuert werden. Die Kräfte ließen sich so verteilen, dass die äußeren Räder schneller drehen als die inneren und die hinteren mehr als die vorderen. Die Folge: Es geht zackiger um die Kurven.
Wie ein elektronisches Torque Vectoring auch im Motorsport weiterhelfen kann, zeigte sich im Juni am Pikes Peak im US-Staat Colorado am Beispiel eines Range Rover Sport: Auf der weltberühmten Bergrennstrecke wurde mit dem britischen Modell ein neuer Rekord für Serienfahrzeuge aufgestellt. Ein Rennfahrer führte den Erfolg auch darauf zurück, dass der 2,3 Tonnen schwere Geländegänger so leicht um die Kurven kam: „Bei insgesamt 156 Kurven bis zum Gipfel kann eine Extraportion Querdynamik nicht schaden.“