Die Liebe zum Weglassen - Szene für Custom-Bikes blüht
Berlin (dpa/tmn) - Weniger ist mehr: Nach diesem Motto bauen Custombike-Spezialisten Motorräder um. Was entbehrlich ist, wird abgeschraubt. Oft bekommen die Maschinen obendrein einen Retro-Chic verpasst.
Diese Biker mögen es puristisch: Die Szene für Custom Motorcycles blüht. Bei den abgespeckten Zweirädern kommt es nicht auf Motorleistung an, sondern vor allem auf die Optik: Weniger ist mehr, lautet die Devise. Üppige Plastikverkleidungen und Chromzierrat gelten als entbehrlich. „Bei den Motorrädern geht es um das Wesentliche - ums Fahren“, sagt Jens vom Brauck von JvB-Moto in Köln. Der Designer entwirft und stellt Unikate und Anbauteile her, die extrem minimalistisch sind. „Motorräder können ruhig unvernünftig aussehen, sie sollen nur möglichst viel Spaß machen“, sagt er.
Moderne Technik bei Bremsen, Beleuchtung und Fahrwerk ist in der Szene nicht verpönt. Was eine Maschine agiler und sicherer macht, wird verbaut. Hauptsache, sie ist am Ende schön leicht und schlank.
Vom Brauck verwendet für seine Umbauten Gebrauchtmaschinen, etwa von Ducati, Triumph, Kawasaki oder Yamaha. Alles Überflüssige montiert er ab. Notwendige Fahrzeugteile wie Tacho, Lenker oder Fußrasten ersetzt er durch leichtere. Die Sitzbank wird schmaler, das Heck kürzer. „Das Motorrad fährt sich dadurch sehr leicht, vor allem in der Stadt“, sagt er. Leistung und Spitzentempo sind Nebensache: „Viel wichtiger sind das Fahrgefühl und der Sound.“
Custombike-Besitzer wollen sich abgrenzen. „Unsere Kunden sind keine Rocker oder Freaks, sondern oft Wiedereinsteiger mit Mitte 40, die kein Motorrad von der Stange kaufen wollen“, sagt Peter Dannenberg, Chef von Urban Motor in Berlin. Seine Firma ist auf europäische Zweiventiler mit viel Mechanik und wenig Elektronik spezialisiert und bietet je nach Aufwand Custombikes zwischen 8000 und 30 000 Euro an.
Der Café Racer „Earl Grey“ zum Beispiel basiert auf einer BMW R 80 G/S aus den 1980er Jahren. Mit seinem schmalen, handgefertigten Tank und dem spartanischen Cockpit sieht er aus wie eine Rennmaschine aus den 60ern. Wo man den Frontscheinwerfer erwartet, sitzt eine Startnummerntafel - der Scheinwerfer versteckt sich unter der Gabelbrücke. „Wichtig ist für uns die Reduktion auf das Wesentliche, Individualität, Ästhetik, gepaart mit dem richtigen Style“, sagt Dannenberg. Und straßentauglich müsse ein Umbau natürlich sein.
Zu den Custombikes zählen unter anderem die Gattungen Café Racer, Scrambler, Bobber und Chopper. Café Racer sind Serienmotorräder, die zu 60er-Jahre-Rennmaschinen modifiziert werden - mit tiefem Lenker, Startnummerntafeln und eine kleine Sitzbank mit Höcker. Der Name stammt vom Ace Cafe in London, vor dem sich Rocker Anfang der 60er trafen und die Straßen in der Umgebung unsicher machten.
Scrambler sind die Vorläufer heutiger Enduros. Sie zeichnen sich durch grobstollige Reifen und den hochgelegten Auspuff aus. Am häufigsten verbreitet sind Chopper: spärlich bekleidete Maschinen mit hohem Lenker, tiefem Sitz, langer Gabel und langem Radstand. Bei Bobbern handelt es sich um abgespeckte Chopper im 30er-Jahre-Look. Auffällig sind der breite Hinterreifen, der Einzelsitz und die kleinen Schutzbleche. Doch Stiltreue ist nicht alles: „Das Wichtigste ist, dass das Motorrad funktioniert. Es gibt nichts Schlimmeres als Showbikes, die unfahrbar sind“, sagt Jens vom Brauck.
„Customizing bedeutet für mich immer Optimierung im Sinne der Fahrbarkeit“, betont auch Axel Budde von der Firma Kaffeemaschine in Hamburg, der bevorzugt Moto-Guzzi-Modelle zu Café Racern umbaut. Bis zu 60 Kilogramm verlieren die Maschinen während der Blechkur. „Danach sind es reine Fahrmaschinen, bei denen man fast auf dem nackten Motor sitzt und das auch spürt.“ Die Einzelstücke fertigt er nur nach Kundenauftrag. „Meist entwickle ich die Maschinen aber nach meiner Vorstellung.“ Budde sucht die passende Spendermaschine und zerlegt sie komplett - „dann weiß ich auch, was an der Technik noch zu tun ist“. Nach bis zu vier Monaten Arbeit übergibt er dem Kunden ein Zweirad-Unikat, das neuwertig ist und mindestens 25 000 Euro kostet.
Den Trend zu Custombikes haben auch einige Motorradhersteller für sich entdeckt, auch wenn sie nur uniforme Massenprodukte bauen können. Triumph zum Beispiel bietet mit den Modellen Scrambler, Bonneville und Thruxton aktuell gleich drei Retro-Bikes an, Moto Guzzi die V7 und Kawasaki die W800.
BMW will die im Mai vorgestellte Studie Concept Ninety Ende des Jahres in Serie bringen. Der Café Racer soll Erinnerungen an den historischen Sportler R 90 S von 1973 wecken. Die Studie entstand allerdings nicht in München, sondern beim Customer Roland Sands in den USA. Als Einzelstück. Für einen Individualisten.