Letzte Hoffnung nach dem Crash - 50 Jahre Verkehrsopferhilfe
Berlin (dpa/tmn) - Ein Verkehrsunfall ist immer eine schlimme Sache. Noch schlimmer, wenn es keinen Schadenersatz gibt, weil der Verursacher nicht versichert ist oder flüchtet. Dann haben Geschädigte noch eine Chance: die Verkehrsopferhilfe.
Geisterfahrer-Unfälle sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Solche Crashs sind längst nicht immer darauf zurückzuführen, dass Autofahrer versehentlich auf die falsche Spur geraten: Einige lenken ihren Wagen in selbstmörderischer Absicht in den Gegenverkehr. Wer in so einen Unfall verwickelt wird, bekommt von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Geisterfahrers meist keine Entschädigung - die zahlt im Regelfall bei Vorsatz nicht. Haben Opfer solcher und anderer Unfälle keine Chance auf Schadenersatz, können sie sich seit 50 Jahren an die Verkehrsopferhilfe (VOH) wenden.
Die VOH ist eine Einrichtung der deutschen Autoversicherer. Der Verein wurde 1963 in Hamburg gegründet, heutiger Sitz ist Berlin. Vorläufer war der Fahrerfluchtfonds von 1955 zur Opferentschädigung nach Unfällen mit unbekanntem Verursacher. „Die Verkehrsopferhilfe bewahrt Unfallopfer vor Härten, gegen die sie sich am wenigsten schützen können“, erklärt Karin Rüter de Escobar vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Damit schließen die deutschen Versicherer letzte Lücken im Pflichtversicherungsgesetz.“
Einschreiten muss die VOH also nur in bestimmten Fällen - „zum Beispiel wenn das Fahrzeug des Unfallverursachers nicht versichert ist“, sagt Rüter de Escobar. Trotz gesetzlich vorgeschriebener Kfz-Haftpflichtversichrung komme das immer wieder vor. Weitere Fälle: Jemand verursacht vorsätzlich einen Unfall, so wie der Geisterfahrer mit Selbstmordabsichten. Ein Fahrzeug wird als Waffe gegen andere eingesetzt. Oder ein Unfallfahrer flüchtet vom Unglücksort.
„Im Fall der Unfallflucht gibt es Leistungseinschränkungen“, sagt Rüter de Escobar. „Es werden grundsätzlich nur Personenschäden ersetzt und Sachschäden, die 500 Euro überschreiten.“ Geld könnte es etwa für einen Gartenzaun geben, den ein unbekannter Autofahrer niedergemäht hat. Für Schäden am Auto des Unfallopfers zahle die VOH hingegen in der Regel nicht, denn: „Es geht nur darum, existenzielle Härten zu vermeiden - und gegen Schäden an seinem Fahrzeug kann sich jeder mit einer Vollkaskoversicherung absichern.“ Blechschäden würden nur berücksichtigt, wenn gleichzeitig ein erheblicher Personenschaden entstanden sei, so die GDV-Sprecherin.
Auch Schmerzensgeld gebe es nur in Ausnahmefällen von der VOH, erklärt Rüter de Escobar. „Dazu muss es sich um besonders schwere Verletzungen handeln, die zum Beispiel die Erwerbsfähigkeit dauerhaft und erheblich einschränken.“
Dass die Grenzen für die Hilfeleistungen eng gesteckt sind, findet die Hamburger Verkehrsrechtsanwältin Daniela Mielchen „nachvollziehbar und völlig in Ordnung: Sonst könnte sich der Verein vor Anträgen zur Erstattung von Bagatellschäden nicht retten“. Auch werde es dadurch Versicherungsbetrügern schwer gemacht, Leistungen zu erschleichen. „Auf der anderen Seite kommt die Verkehrsopferhilfe so in der Praxis nur sehr selten zum Tragen“, sagt die Juristin.
Tatsächlich gingen nach GDV-Auskunft im Jahr 2012 bei der VOH 1011 Anträge ein. Davon wurden bisher 152 Fälle im Zusammenhang mit Unfallflucht abgewickelt, 143 Fälle mit nicht versicherten Fahrzeugen und 80, bei denen Vorsatz zum Unfall führte. Die VOH zahlte dafür knapp 3 Millionen Euro. 204 Anträge wurden abgelehnt. Zum Vergleich: Die Polizei erfasste im vergangenen Jahr in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt fast 2,4 Millionen Verkehrsunfälle, bei rund 300 000 gab es Verletzte.
Für die Hilfe im Härtefall legen die deutschen Autoversicherer zusammen. „Die Mittel für Schadenaufwendungen, Regulierungs- und Verwaltungskosten werden nach Marktanteilen und Beitragseinnahmen anteilig erhoben“, erklärt Rüter de Escobar.
Von Anfang an sollte die VOH auch bei Versicherungsinsolvenzen zuständig sein - nur ist dieser Fall 47 Jahre lang nicht eingetreten. 2010 war es dann erstmals soweit, als die Versicherer Ineas und LadyCarOnline pleitegingen. „Bis Ende 2012 hat sich die Verkehrsopferhilfe um die Kfz-Haftpflichtschäden von 1628 deutschen Versicherten gekümmert, die von der Insolvenz betroffen waren“, sagt Rüter de Escobar.
Gerade wurde der Schutz für Insolvenz-Betroffene verbessert, berichtet VOH-Geschäftsführer Rudolf Elvers: „Die Ansprüche von Kranken- und Sozialversicherern eines Unfallgeschädigten gegen Versicherungsnehmer eines insolventen Kfz-Haftpflicht-Anbieters wurden auf insgesamt maximal 2500 Euro begrenzt. Auch kann die Leistungspflicht der Verkehrsopferhilfe hier nun bis zum Dreifachen der gesetzlichen Mindestdeckungssumme reichen.“
Hilfesuchende können sich unbürokratisch an die VOH wenden: Auf der Webseite des Vereins finden sie ein Formular zur Unfallmeldung. Oder sie schildern in einem Brief, Fax oder einer E-Mail formlos den Sachverhalt und welche Schäden sie geltend machen wollen.