Expertise Mit Brief und Siegel: Was Auto-Wertgutachten bringen
Stuttgart/Losheim (dpa/tmn) - Wer einmal einen Gebrauchtwagen ver- oder gekauft hat, der weiß, was Feilschen ist. Denn in den seltensten Fällen geht so ein Deal ohne langwierige Verhandlungen über die Bühne.
Doch es gibt eine Art Beschleuniger: das Wertgutachten.
Es ist zwar weder unumstößlich noch einheitlich und schon gar nicht verbindlich. Aber es kann eine solide Orientierungshilfe bieten. Die etwa 150 Euro für ein Kurzgutachten bei Dekra, Tüv, KÜS oder einem Automobilclub sind oft gut angelegtes Geld, sagen Experten. „Eine Fahrzeugbewertung durch einen unabhängigen Gutachter bringt eine neutrale, realistische Einschätzung des tatsächlichen Marktwerts eines konkreten Fahrzeugs“, erläutert Michael Tziatzios, der das Gebrauchtwagen-Management bei der Dekra in Stuttgart leitet.
In der Bewertung werden neben dem Kaufpreis und der Marktlage vor allem individuelle Faktoren wie Ausstattung, Laufleistung, technischer und optischer Zustand, Unfallhistorie oder die Zahl der Halter eines Fahrzeugs berücksichtigt. Nicht jeder VW Golf aus dem Baujahr 2014 hat schließlich den gleichen Wert.
Der Auftrag für ein Wertgutachten kann für Verkäufer wie für Käufer gleichermaßen sinnvoll sein, sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverständigenvereinigung KÜS in Losheim am See (Saarland): Ein kluger Verkäufer sichere damit seine Preisforderung ab, ein pfiffiger Käufer könne so einen möglicherweise überhöhten Preis drücken. „Und wenn man sich am Ende die Gebühren für das Gutachten teilt oder sie vom Kaufpreis abzieht, ist beiden Seiten geholfen.“
Aber nicht nur beim Verkauf lohnt sich ein Gutachten bisweilen. Auch wenn es um den Versicherungswert und vor allem Zahlungen nach einem Unfall oder einem Diebstahl geht, dient es als Bemessungsgrundlage und kann Streitigkeiten vermeiden helfen. Allerdings gelte so eine Wertbestimmung nicht für die Ewigkeit, sagt Marmit. Es empfehle sich, in regelmäßigen Abständen ein neues Gutachten zu erstellen, da der Markt schnelllebig ist und ständigen Schwankungen unterliegt: „Manche Fahrzeuge steigen im Wert, manche werden mit dem Alter billiger. Aber spätestens nach zwei Jahren sollte man das Gutachten erneuern.“ Und sobald man wertverändernde Maßnahmen wie Reparaturen, Umbauten oder Restaurierungen vornehme, ebenfalls.
Je älter ein Auto, desto eher lohnt sich das Wertgutachten, sagt Marius Brune vom Marktbeobachter Classic Data in Bochum. Denn spätestens an der Schwelle zum Young- oder gar zum Oldtimer sollte man überprüfen, ob das Versicherungsangebot und der Wert der üblichen Abschreibungslisten noch passt, so der Experte. Zwar gäben Internetseiten, Angebote im Anzeigenteil diverser Zeitschriften und auch veröffentliche Preislisten einen ersten Anhaltspunkt. Doch wer einen seltenen Klassiker hat, der dort nicht zu finden ist, habe es schon schwerer. „Und welchen Wert nimmt man: Zeitwert, Marktwert, Wiederbeschaffungswert oder Wiederaufbauwert?“ Da könne ein Gutachten helfen, Unsicherheiten, Missverständnisse und Risiken zu vermeiden.
Dann geht es allerdings auch nicht mehr alleine um den Fahrzeugwert bei Kauf, Verkauf oder Versicherung, sondern oft auch um die Historie, die Originalität und die Qualität einer möglichen Restaurierung. Gerade bei Liebhaberfahrzeugen habe sich dafür eine Klassifizierung von Classic Data eingebürgert, die von "1" wie "makellos" oder "Auslieferungszustand über "gut", "gebraucht", "verbraucht" bis 5 wie "restaurierungsbedürftig" reicht, so Brune.
Mit einem kurzen Gutachten ist es dann allerdings auch nicht mehr getan. Bei einer derartigen Oldtimer-Bewertung werde das Fahrzeug ausführlich beschrieben, erläutert die Dekra: Neben den technischen Daten erfolge auch eine detaillierte Zustandsbeschreibung aller Baugruppen. „Details wie Restaurationsarbeiten oder Umbauten werden ebenfalls aufgeführt und - soweit nachvollziehbar - dokumentiert.“ Erst anhand dieser Daten und einer umfangreichen Marktrecherche werde dann der realistische Wert ermittelt.
Zwar dient ein Wertgutachten als Orientierung und Verhandlungsgrundlage. Aber es ist weder verbindlich noch unanfechtbar, sagt Marmit: „Eine vollkommen objektive Bewertung gibt es nicht, sondern die endgültige Zahl liegt immer im Ermessen des Gutachters.“ Dass es obendrein regionale Einflüsse wie die Vorliebe für Allrad in Gebirgslagen oder den Faible für Kleinwagen in Stadtgebieten gibt, mache die Sache nicht leichter: „Wer fünf Gutachter fragt, bekommt wahrscheinlich sechs verschiedene Antworten.“