Modellvielfalt bei Autos - Fluch oder Segen?
Stuttgart (dpa/tmn) - Mit immer mehr Modellen versuchen Autohersteller den Geschmack der Kunden genauer zu treffen und jede Nische zu besetzen. Doch nicht immer rechnet sich die Vielfalt.
Beim ersten Massenauto hatte der Kunde wenig Auswahl. Das Ford Modell T gab es nur in Schwarz. Inzwischen hat sich das geändert. Nach einer Untersuchung des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen werden in Deutschland derzeit über 3000 Fahrzeugtypen angeboten.
Selbst kleine Hersteller wie Porsche haben den Trend zur Diversifikation - so der wissenschaftliche Begriff für die Ausweitung des Sortiments - erkannt und stellen immer mehr Ableger eines Typen auf die Räder. Ganze 19 Derivate gibt es vom Sportwagen 911 inzwischen, 2015 werden weitere Modelle folgen. „Eine differenzierte 911-Palette soll jedem Porsche-Kunden das richtige Angebot für seine persönlichen Ansprüche und Wünsche bieten“, sagt Andreas Pröbstle, bei Porsche Projektleiter Gesamtfahrzeug Baureihe 911.
Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive der Fachhochschule Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach, ist sich sicher, dass der Trend nicht endet: „Die Tendenz geht zu einer größeren Modellvielfalt. So werden auf einem gesättigten Markt Kundenwünsche besser bedient. Durch die entsprechenden Plattformen und Baukasten-Systeme lassen sich Derivate kostengünstig produzieren.“
Außerdem, so Bratzel, können die Hersteller ihre neuen Varianten bewerben und bleiben somit im Gespräch. Je stärker das Produkt, desto mehr Typen seien auch möglich. „Bei den Premiumfahrzeugen wird die Vielfalt und Individualisierung weiter zunehmen“, meint Bratzel. Allerdings müssen die Hersteller aufpassen. Mini etwa bietet inzwischen 47 Varianten seines Kleinwagens an. „Da wird es für die Kunden langsam unübersichtlich“, sagt Bratzel.
Auch Paolo Tumminelli, Professor an der International School of Design in Köln, hält die zunehmende Modellvielfalt für nicht ganz risikolos. Zwar könne der Hersteller durch Diversifikation innerhalb eines Modellzyklus viele Varianten anbieten und so „regelmäßige neue Fahrzeuge vorstellen und schneller auf Trends reagieren“. Dabei dürfe aber nicht die Identität des Fahrzeugtyps verloren gehen, sagt er. Und: Vielfalt koste trotz flexibler Produktion noch immer Geld.
Laut Tumminelli sind flexible Plattformen auch immer ein Kompromiss. „Es gibt nicht mehr das perfekte Auto hinsichtlich Gewicht, Leistung und Verbrauch“, gibt er zu bedenken. So schleppt ein VW Golf mit 85 PS ähnlich viel Stahl mit sich herum wie die 150-PS-Variante. Um Kosten zu reduzieren, werden auch Bauteile größerer Fahrzeuge in die kleineren eingesetzt. So sind im Kleinwagen BMW 1er Teile des BMW 3er integriert. Autos ohne Plattformstrategie wie beispielsweise der Mazda MX-5 sind heute eher die Ausnahme.
Bei alledem machen viele Hersteller mit nur drei Modellvarianten mehr als die Hälfte ihres Gesamtumsatzes. „Alles unter 50 000 Einheiten im Jahr macht im europäischen Massenmarkt keinen Sinn, da lohnt sich nicht mal mehr der Aufwand für Logistik“, sagt Tumminelli. Beim Volkswagen-Konzern hat man das Problem offenbar erkannt und will in Zukunft weniger Modellvarianten und Sonderausstattungen anbieten.
Gleichzeitig gibt es bei vielen Fahrzeugtypen mehr Möglichkeiten zur Individualisierung des Innenraums. Polsterstoffe, Armaturenbrett oder Türeinlagen lassen sich in verschiedenen Farben wählen. „Bei der Individualisierung sind viele Kunden aber nicht bereit, sehr viel mehr Geld zu zahlen“, sagt Bratzel.
Und zu viel Auswahl an möglichen Optionen scheint oftmals auch nicht gewünscht. Laut dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kaufen sich die meisten Autofahrer ein schwarzes Auto. Ganz so wie vor über 100 Jahren beim Ford Modell T.