Niedlich bis aggressiv: Wie Gesichter das Autodesign prägen
Köln (dpa/tmn) - Wenn Menschen etwas anschauen, suchen sie nach vertrauten Formen und entdecken in vielen Gegenständen ein Gesicht - das ist bei einem Auto nicht anders. Die Designer spielen damit ganz bewusst und wollen Emotionen im Betrachter wecken.
„Punkt, Punkt, Komma, Strich“ - nach diesem Muster zeichnen kleine Kinder ihre ersten Gesichter. Doch auch gut bezahlte Autodesigner machen sich das Schema bei ihrer Arbeit zu eigen. Schließlich sucht der Mensch immer nach einem Gesicht, wenn er etwas anschaut. Die Front eines Autos bietet dabei so viel Spielraum für Interpretationen wie kaum ein anderes Industrieprodukt.
„Wir haben diesen Code fest in unseren Genen“, sagt der Designexperte Paolo Tumminelli. „Das Muster von Augen, Nase und Mund dient dem Kind von früh an als Orientierung auf der Suche nach der Mutter. Und diesen Blick behalten wir über die Jahre auch als Erwachsene bei.“ Deshalb sei es ganz normal, dass der Mensch in leblosen Gegenständen nach einem Gesicht suche. Die Autodesigner gingen ganz bewusst darauf ein: „Die Augen als Scheinwerfer, die Stoßstange als Mund und der Kühlergrill als Nase: Schon hat das Auto etwas Menschliches und ist einem emotional näher“, erklärt der Kölner Design-Professor.
Es ist jedoch kein neuer Trend, dem Auto ein Gesicht zu geben. „So wie die Fahrzeuge konstruiert sind, bleibt den Designern kaum etwas anderes übrig“, sagt Prof. Lutz Fügener von der Hochschule Pforzheim. Die physiognomischen Parallelen seien von der Technik und dem Gesetzgeber vorbestimmt, erläutert der Experte für Transportation Design. „Sobald ich an die äußeren Ecken zwei Scheinwerfer pflanze, habe ich schon das halbe Gesicht. Den Rest reimt sich das Gehirn des Betrachters von selbst zusammen.“ In den vergangenen Jahren hätten die Fahrzeughersteller aber verstärkt das Minenspiel entdeckt und den Autogesichtern einen ganz speziellen Ausdruck mit auf den Weg gegeben. Damit soll die Gefühlswelt der Kunden beeinflusst werden.
Die Formgeber folgen zwei unterschiedlichen Strömungen: Kleinwagen und designierte Frauenautos werden betont niedlich gezeichnet, spielen mit dem Kindchenschema und wecken den Beschützerinstinkt, sagt Fügener. „Ach wie süß, den will ich haben“ - so fasst er die Botschaft zusammen. Besonders sportliche, luxuriöse und schnelle Autos bekommen dagegen einen aggressiven Gesichtsausdruck. Der soll Respekt einflößen und dem Fahrer im Zweifel die Fahrspur räumen. „Dabei bedienen sich die Designer oft aus der Tierwelt und lassen sich von Raubtieren, Raubvögeln oder Raubfischen inspirieren.“
Manchmal schießen die Kreativen dabei über das Ziel hinaus: „Mit der Jahrtausendwende hat sich die Trendwende vom sympathischen zum aggressiven Gesicht beschleunigt, und allerorten hat man eine Kriegsbemalung aus vielen Pfeillinien und schiefen Schlitzaugen gesehen“, sagt Tumminelli. Er erinnert an BMW- oder Audi-Modelle jener Zeit: „Da wurde einiges übertrieben.“
Tumminelli und Fügener sind sich sicher: Übertriebenes Design nutzt sich schnell ab und muss entsprechend korrigiert werden. Genau andersherum ist es aus Sicht der Formexperten zum Beispiel beim Porsche 911: Der Sportwagen hat natürlich auch ein Gesicht, aber keine verzerrte Mimik. Er sei deshalb auch nach 50 Jahren noch so aktuell, dass sich jede Änderung erübrige.
Auch beim Mini spielen die Designer über Generationen mit dem gleichen Look. Das neue Modell, das auf der Motorshow in Los Angeles enthüllt wurde und im nächsten Jahr in den Handel kommt, hat wieder das typische „Happy Face“, teilen die Briten mit. Doch oft wird versucht, den Ausdruck des Autos langsam zu verändern. Kai Sieber aus dem Designteam von Smart zum Beispiel verspricht, dass die nächste Ausgabe des Mini-Mercedes ein wenig ernsthafter daher kommen soll. „Wir haben uns hunderte Fotos von menschlichen Gesichtern angeschaut, bis wir mit dem neuen Smart-Gesicht zufrieden waren.“ Die IAA-Studie Fourjoy nimmt das kommende Antlitz vorweg: „Auch der neue Smart schaut freundlich drein, aber er sieht nicht mehr so niedlich aus und wird jetzt langsam ernsthaft und erwachsen.“
So eine Kurskorrektur kann bitter nötig sein, glaubt Design-Experte Tumminelli. Sie ist allerdings immer ein Wagnis. Schlägt das Design des Autogesichts zu sehr in eine bestimmte emotionale Richtung aus, kann die Reaktion des Betrachters negativ sein. „Ein doofes Gesicht kann uns nicht überzeugen, ein zu sympathisches wirkt unseriös, und ein böses kann einfach abstoßend sein.“