Wenn Hightech den Fahrer ersetzt
Berlin/Braunschweig (dpa/tmn) - Einsteigen, zurücklehnen, entspannen - so bequem könnte Autofahren in Zukunft sein. An mehreren Standorten in Deutschland experimentieren Forscher mit Fahrzeugen, die ohne Fahrer auskommen.
Tinosch Ganjineh erzählt von einem Land voller Taxen. Der Forscher der Freien Universität (FU) Berlin hält ein Zukunftsszenario für denkbar, in dem der Individualverkehr in Deutschland der Vergangenheit angehört: Privatwagen würde es keine mehr geben, stattdessen nur noch eine öffentliche Fahrzeugflotte, die jederzeit für jeden verfügbar ist. Und mehr noch: Ganjinehs Taxen von morgen kommen ohne Fahrer aus. Sie beschleunigen, bremsen und lenken wie von Geisterhand.
Was nach Science-Fiction klingt, ist gar nicht allzu weit hergeholt: Hinter dem gut gesicherten Stahltor eines FU-Labors steht ein Auto, das laut Ganjineh in 30 Jahren das Zeug zu einem fahrerlosen Taxi der Zukunft haben könnte. „Made in Germany“ heißt der Wagen, den er und weitere Wissenschaftler aus dem Team des Berliner Informatikprofessors Raúl Rojas zur Erforschung autonomer Mobilität entwickelt haben. Schon jetzt ist dieses Auto nur noch auf einen Sicherheitsfahrer an Bord angewiesen, der das Steuer übernimmt, falls es zu technischen Problemen kommt.
Auf den ersten Blick handelt es sich um einen handelsüblichen VW Passat. Allein der Laserscanner vom Format eines Eimers auf dem Dach irritiert. „Mit zehn Umdrehungen pro Sekunde tastet er die Umgebung ab und erzeugt ein dreidimensionales Bild“, erklärt der Forscher. Damit „sieht“ das Fahrzeug beinahe gleichzeitig in alle Richtungen. Beim Gang ums Auto wird schnell klar, dass noch viel mehr Technik in dem Passat steckt, mit der sich der Wagen allein zurechtfinden kann.
Unauffällig in die Karosserie integrierte Laser- und Radarscanner dienen unter anderem dazu, Hindernisse zu erkennen. „Sie registrieren auch andere Fahrzeuge oder Fußgänger und deren Bewegungen“, erläutert Ganjineh. Hinzu kommen Kameras zur Spur-, Schilder- und Ampelerkennung sowie eine GPS-Antenne. Der Satellitenempfänger verrät dem Auto zentimetergenau, wo es sich gerade befindet - und würde im autonomen Taxi noch eine weitere entscheidende Funktion erfüllen.
Blitzschnell könnten die fahrerlosen Taxen einen Passagier per GPS orten, sobald dieser mit seinem Tablet-PC einen Wagen anfordert, sagt Ganjineh. Ein verfügbares Auto in der Nähe würde sich sofort auf den Weg machen. Der Fahrgast müsste nach dem Einsteigen nur noch sein Ziel nennen - schon ginge die Reise los. Abgerechnet würde anschließend automatisch. Auch ein Flatrate-Modell für Vielfahrer wäre laut dem Forscher denkbar.
Gäbe es nur noch fahrerlose Taxen, ginge es deutlich entspannter auf den Straßen zu, glaubt Ganjineh: „Bis zu 80 Prozent aller aktuell zugelassenen Fahrzeuge ließen sich einsparen“, sagt er. Denn der überwiegende Teil der Kfz stehe die meiste Zeit des Tages ungenutzt am Straßenrand oder in der Garage.
Staus sind in seiner Vision Geschichte, ebenso Unfälle. Denn Roboterautos „sehen“ mehr als ein Mensch am Steuer, reagieren um ein Vielfaches schneller und sind nie abgelenkt - solange alle Systeme einwandfrei arbeiten. Ist das nicht der Fall, könnten die Fahrzeuge selbstständig eine Werkstatt ansteuern oder einen Abschleppwagen anfordern. Das gilt auch fürs Tanken oder Nachladen der Batterien, wenn elektrisch gefahren wird.
Bei Testfahrten auf dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof hat das Projektauto „Made in Germany“ gezeigt, dass es auf Gefahren wie ein plötzlich auf die Straße laufendes Kind reagieren kann. Anderen Autos und Hindernissen weicht es souverän aus. „Das reicht natürlich noch nicht aus“, sagt Ganjineh - der Wagen müsse sich in der wahren Verkehrswelt fehlerlos zurechtfinden. „Daran arbeiten wir“. Mit der Genehmigung für Tests auf öffentlichen Straßen in der Hauptstadt rechnet er Anfang 2011.
„Leonie“, ebenfalls ein VW Passat, hat Versuchsfahrten im Verkehr schon hinter sich: Das ähnlich wie bei den Berlinern ausgestattete Projektauto der Technischen Universität (TU) Braunschweig ist seit Herbst regelmäßig auf dem Braunschweiger Stadtring unterwegs - mit Sicherheitsfahrer für den Notfall. „Dabei gibt es noch viele Probleme, vor allem mit der Verkehrszeichenerkennung“, berichtet Markus Maurer, Leiter des TU-Instituts für Regelungstechnik.
Prinzipiell hält auch er es für möglich, Roboterfahrzeuge wie „Leonie“ oder „Made in Germany“ eines Tages als fahrerlose Taxen einzusetzen. „Jedoch muss dafür unter anderem die Selbstbestimmung eines Fahrzeugs noch deutlich weiter entwickelt werden“, sagt Maurer. Die Forschung stehe erst am Anfang, den Menschen mit seinen Fähigkeiten, komplexe Situationen zu interpretieren und Entscheidungen zu treffen, zu kopieren. Außerdem müsse man den Autos noch beibringen, miteinander zu kommunizieren.
Von den Experimenten mit autonomen Fahrzeugen profitiert im Moment vor allem die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen. Diese übernehmen in bestimmten Situationen die Kontrolle - zum Beispiel bei der Parkplatzsuche: „Es ist realistisch, dass Autos schon bald den Weg von der Parkhauseinfahrt zur nächsten freien Lücke allein finden und sich dort selber abstellen“, sagt J. Marius Zöllner, Direktor der Abteilung für Technisch Kognitive Assistenzsysteme am Karlsruher Forschungszentrum Informatik (FZI). Andere denkbare Systeme könnten laut Zöllner medizinische Notfälle wie einen Herzinfarkt erkennen und das Steuer übernehmen oder sich bei Autobahnfahrten zeitweise als Autopilot aktivieren lassen.