Zahl der Verkehrstoten steigt: Ist das Wetter schuld?

Wiesbaden (dpa) - Beim Blick auf die Statistik gehen die Warnlampen an: Erstmals seit zwei Jahrzehnten steigt die Zahl der Unfalltoten und Verletzten in Deutschland. Woran liegt das, und was muss getan werden?

Wiesbaden (dpa) - Beim Blick auf die Statistik gehen die Warnlampen an: Erstmals seit zwei Jahrzehnten steigt die Zahl der Unfalltoten und Verletzten in Deutschland. Woran liegt das, und was muss getan werden?

Raser verursachen in Deutschland die meisten Unfälle. Zweithäufigste Ursache sind Fehler beim Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren. Dessen ungeachtet ist die Zahl der Verkehrstoten seit Jahrzehnten zurück gegangen. Bis jetzt. 2011 sind es plötzlich wieder mehr. Eine Trendwende? Die meisten Fachleute meinen „Nein“. Sie warnen aber zugleich: „Verkehrssicherheit ist kein Selbstläufer“. Es bleibe noch viel zu tun.

Was ist passiert?

Mit 3900 Verkehrstoten rechnet das Statistische Bundesamt 2011 - das wären sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Damit ist die Zahl der Verkehrstoten erstmals seit 20 Jahren wieder gestiegen, hat aber noch nicht den Stand von 2009 erreicht (4152). Rekordjahr seit Einführung der Statistik (1953) war 1970 mit 21 332 Toten in der Bundesrepublik und der DDR. Seither ging die Zahl nach unten - mit Ausnahme eines kurzen Anstiegs direkt nach der Deutschen Einheit (1990 und 1991).

Welche Rolle spielt die Witterung?

Statistiker und Verkehrsexperten führen den Anstieg „zum Teil“ auf die Witterung zurück. Mildes Wetter lockt mehr Motorrad-, Radfahrer und Fußgänger nach draußen, und diese sind bei Unfällen schlechter geschützt als Autofahrer. Schon der Januar und Februar waren im Vergleich zu 2010 deutlich milder; das Frühjahr und der Frühherbst warm und trocken. „Die Witterung am Anfang des Jahres eine Erklärung, danach aber nicht mehr so“, sagt etwa der ADAC-Experte Wolfgang Steichele. Und Anja Hänel vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) sagt: „Nur die Unfälle mit Personenschaden haben zugenommen. Das ist ein Indiz dafür, dass es nicht nur mit dem Wetter zu tun hat.“

Welche Ursachen gibt es noch?

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) und der Auto Club Europa (ACE) verweisen auf eine hohe Dunkelziffer bei Gurtmuffeln. Vor allem auf kurzen Strecken schnallten viele Autofahrer sich oder ihre Kinder nicht an. Etwa 20 bis 30 Prozent aller getöteten Autofahrer waren Studien zufolge nicht angeschnallt. Der ACE will daher eine automatische Startsperre für Gurtmuffel. Der Frankfurter Verkehrssoziologe Alfred Fuhr erklärt den Anstieg der Verkehrstoten bei den 15- bis 17-Jährigen damit, dass diese „eher unbewusst im Verkehr unterwegs“ seien. Sie hätten die Initiationszeit mit Mofa oder Roller nicht mehr, seien oft übermüdet und häufig vom Handy oder MP3-Player abgelenkt.

Vor allem bei Fußgängern und Motorradfahrern gibt es mehr Tote. Was tun?

Die Versicherungswirtschaft (gdv) will die von der EU geplante Einführung von ABS-Bremssystemen für Motorradfahrer vorziehen und fordert zudem verpflichtende Fahrsicherheitstrainings für Motorradfahrer. „Jeder zweite getötete Fußgänger ist über 65 Jahre alt, die Verkehrsplanung muss auf die speziellen Belange dieser Altersgruppe besser eingehen“, fordert der Leiter der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann. Als Beispiele nennt er längere Ampelphasen und mehr Fußgängerfurten. Außerdem sollten Notbremssysteme mit Fußgängererkennung schneller in Serie gehen. Der DVR fordert Fußgänger und Zweiradfahrer auf, gerade in der dunklen Jahreszeit sichtbare Kleidung zu tragen.

Was bringt ein Tempolimit?

Der VCD plädiert für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Ortschaften und für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Der ACE setzt dagegen auf Verkehrsbeeinflussungsanlagen auf Autobahnen. Der gdv fordert, die Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten besser zu kontrollieren. „Dass auf schneebedeckten Fahrbahnen die Unfallschwere deutlich abnimmt, zeigt erneut den erheblichen Einfluss der gefahrenen Geschwindigkeiten“, sagt Brockmann.

Was fordern die Fachleute noch?

DVR und VCD sind für ein absolutes Alkoholverbot. Damit habe man bei Fahranfängern und jungen Fahrern sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie wollen auch verbindliche Fahrschulstunden nach dem Erwerb des Führerscheins für Fahranfänger. DVR und ADAC appellieren zudem an alle Verkehrsteilnehmer, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen.