Allgegenwärtige Sensoren sorgen für Datenschutz-Konflikte
Paris (dpa) - Ein Regenschirm, der blinkt, wenn Regen angekündigt wurde. Eine Kamera-Pille, die Kolonoskopie-Eingriffe ersetzen soll. GPS-Sportschuhe, die dem Läufer über Vibrationen in der Sohle den Weg weisen.
Das sind keine Zukunftsvisionen, das sind Artikel, die es heute auf dem Markt gibt.
Das Geschäft mit kleinen vernetzten Geräten steht nach Einschätzung von Experten vor einem explosiven Wachstum. „Sie werden überrascht sein, wo tragbare Technik überall auftauchen wird“, sagt Analyst J.P. Gownder vom Technik-Marktforscher Forrester. „Es wird Massen von Experimente geben.“
Gownder stellte bei der Internet-Konferenz „LeWeb“ in Paris eine Forrester-Studie vor, die sich mit der Geräteklasse der sogenannten „Wearables“ beschäftigt, tragbarer Gerätschaften also. Natürlich ist auch jedes Handy tragbar. „Es ist ein komischer Name“, räumt auch Branchenexperte David Rose vom Forschungslabor des amerikanischen Instituts MIT ein. Gemeint aber ist in diesem Fall, dass man die Technik wirklich nahe am Körper trägt, wie etwa Fitness-Armbänder oder von Sensoren durchzogene Kleidung.
„Mein Hemd streamt gerade meine Körperdaten über mein iPhone in die Cloud“, sagt in Paris der Chef der französischen Firma OMsignal, Stephane Marceau. Das von ihm mitgegründete Start-up liefert Bekleidungs-Herstellern eine Plattform und Bausteine, um „smarte“ Anziehsachen zu produzieren. „Nicht alle tragen Uhren oder Schmuck — aber alle tragen Kleidung“, umschreibt Marceau den Vorteil seiner Lösung gegenüber etwa Computeruhren, Datenbrillen oder Ringen mit Sensoren. „2015 werden wir sehen, wie die Welten von Mode und Technik zusammenwachsen“, zeigt er sich überzeugt.
Besser als die diffuse und schwer übersetzbare Bezeichnung „Wearables“ wäre eigentlich einfach „Zauberdinge“, schwärmt Enthusiast Rose. Schließlich versähe die Technik Alltagsgegenstände mit magischen Fähigkeiten, die man sonst eher aus Märchen kannte. Doch der Boom der vernetzten Magie hat auch eine nicht unerhebliche Kehrseite: Mit der Verbreitung der allgegenwärtigen Sensoren wächst auch die Masse an Daten, die gesammelt werden. Der Herzschlag vom Fitness-Tracker, Gewicht, Blutdruck. Wann man die Wohnung verließ und wieder zurückkam. Wann man ins Bett ging und wie oft man sich in der Nacht umgedreht hat. Wer bei dieser neuen vernetzten Welt mitmacht, nimmt in Kauf, dass irgendwo bei den Anbietern diese Informationen gesammelt werden.
Das schafft ganz neue Möglichkeiten. So wertet das Start-up Vivametrica — anonymisiert — Daten unter anderem von Fitness-Trackern aus und will daraus mögliche Erkrankungen wie Diabetes oder Herzprobleme vorhersagen. Wie wäre es aber damit: Die App Sension für Googles Datenbrille erfasst 76 Punkte auf dem Gesicht des Gegenübers und ermittelt auf dieser Basis seinen emotionalen Zustand. Das soll zum Beispiel Mitarbeitern, die direkt mit Kunden zu tun haben, helfen. Will man aber auf diese Weise analysiert werden?
Zauberdinge-Anhänger Rose trägt auch eine Kamera, die sein gesamtes Leben mit zwei Fotos pro Minute aufzeichnet. Danach kann man die Tage als eine Art Zeitraffer-Video vorbeiziehen lassen. Er habe viel daraus gelernt, sagt Rose. So richtig Sinn ergebe das ganze allerdings erst, wenn man die Bildinformationen ordentlich auswerten könne. So ist er jetzt Gründer und Chef des Start-ups Ditto Labs, das Inhalte von Bildern analysiert. Die Ditto-Software durchsucht öffentliche Bilder etwa von Instagram und erkennt, welche Marken in ihnen vorkommen — auf Flaschen, Jacken oder Alltagsgegenständen. Der Ansatz könne Online-Werbung verändern, sagt Rose. Zum Beispiel könne eine Biermarke jetzt gezielt Anzeigen bei Kunden der Konkurrenz schalten.
Die Datenansammlung in der Hand von Unternehmen sei gefährlich, sagt in Paris Software-Unternehmer Rafael Laguna. Daten bedeuten in der neuen Internet-Welt Macht - „und wer zuviel Macht hat, wird sie irgendwann missbrauchen“. Die Daten der Nutzer wanderten in verschlossene Silos der Dienste, über deren Funktionsweise man als Außenstehender nichts wisse, warnt Laguna, Chef des Unternehmens Open X-Change, das quelloffene Open-Source-Plattformen entwirft. Auch die großen Online-Dienste müssten ins Open-Source-Lager wechseln, um das Vertrauen der Nutzer zu verdienen.