Analyse: Assange ohne Reue nach Datenleck-Debakel

.Berlin (dpa) - Julian Assange zeigt keine Reue. Immer wieder fliegt ihm die Frage zu, ob er und Wikileaks genug getan hätten, um die Namen hunderter Informanten aus dem US-Botschaftsdepeschen zu schützen.

Erst weicht er aus, spricht von Gerechtigkeit und Politik und wie seine Enthüllungsplattform die Welt verändert hat. Doch Melinda Crane, eine amerikanische Journalistin, die für Deutsche Welle TV arbeitet, lässt in dem Videointerview nicht locker, „grillt“ Assange regelrecht, fällt ihm immer wieder ins Wort, wenn er abschweift.

Und so kommt Stück um Stück eine Antwort zusammen, die man auf zwei Kernaussagen reduzieren könnte. Erstens: Alles halb so wild, schließlich wüssten die westlichen Informanten ja schon seit einem Jahr, dass es so weit kommen könnte. Zweitens: Der „Guardian“ ist schuld. Hätte ein Reporter der Zeitung das Passwort zum Entschlüsseln der Komplett-Datei nicht in sein im Februar erschienenes Buch geschrieben, wäre das alles nicht passiert.

Assange spricht auf der Medienwoche der IFA über eine Videoschaltung aus dem britischen Landhaus, in dem er unter Hausarrest steht. Seit neun Monaten schon, während ein Londoner Richter über eine Auslieferung des Australiers nach Schweden entscheidet, wo Assange sexuelle Nötigung in zwei Fällen vorgeworfen wird.

Es ist einer seiner ausführlichsten öffentlichen Auftritte der vergangenen Monate und der erste, seit die kompletten Depeschen veröffentlicht wurden. Das Interesse ist entsprechend groß. Das Thema lautet eigentlich „Die Zukunft der digitalen Öffentlichkeit“. Es geht um Grundsätzliches: Die Rolle des Journalismus in der heutigen Welt.

Assange, erst sichtlich nervös, baut mit großen Worten am Mythos Wikileaks. Die verborgene Wahrheit ans Licht bringen und dadurch Gerechtigkeit herbeiführen, sei die Aufgabe von Journalisten - und von Anfang an das Ziel von Wikileaks gewesen. Den Menschen zeigen, wie die Welt wirklich funktioniert, die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen. Wikileaks habe alles richtig gemacht, betont Assange immer wieder. „Wir haben nie etwas veröffentlicht, was falsch war. Keine unserer Quellen ist durch unsere Veröffentlichungen aufgedeckt worden. Niemand ist körperlich zu Schaden gekommen“, hakt er ab.

Im darauffolgenden Frage-Antwort-Wechselspiel wird jedoch die klaffende Lücken zwischen dem hehrem Anspruch und der Realität deutlich. Denn schließlich führten die Streitereien mit Medienpartnern und einstigen Mitstreitern wie dem Deutschen Daniel Domscheit-Berg nicht nur zu einer öffentlichen Schlammschlacht, sondern auch dazu, dass autoritäre Regime sich jetzt zusammenreimen können, wer in ihrem Land kritisch oder indiskret war.

Assange bleibt ruhig, aber teilt hart aus: Der „Guardian“ habe Abmachungen gebrochen und fahrlässig gehandelt, Domscheit-Bergs eigene Enthüllungsplattform Openleaks sei eine „sehr dunkle Angelegenheit“ und habe ja auch noch nichts veröffentlicht.

Die deutsche Presse sei mit seinem einstigen Weggefährten anfangs nicht kritisch genug umgegangen. Es sei verstörend, wenn Journalisten mit den Mächtigen dieser Welt flirteten anstatt zu enthüllen. Am Ende bleibt Assange, der viele Fans und Feinde hat, auch nach mehr als einer Stunde direkter Rede ein Rätsel.