Analyse: Viele offene Fragen bei Zuckerbergs Internet für alle
Barcelona (dpa) - Wenn das weltgrößte Online-Netzwerk Milliarden Menschen ins Internet bringen will, hat das erstmal einen Beigeschmack von Eigeninteresse.
Die USA und Westeuropa hat Facebook schon weitgehend abgegrast, das große Wachstum kann nur aus den Entwicklungsländern kommen - und dafür müssen die Menschen dort erst einmal online sein.
„Wenn wir erfolgreich sind, wird das auch gut für Facebook sein“, räumt Chris Weasler ein, der die globale Vernetzungs-Vision von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg umsetzen soll. Der 29-jährige Milliardär startete im vergangenen Jahr das Projekt Internet.org für kostenlosen Zugang zu wichtigen Online-Diensten in Entwicklungsländern: Wikipedia, Wetterberichte - und eben auch Facebook.
Weasler, der bei Internet.org für die „Global Connectivity“ zuständig ist, betont die Bedeutung der Initiative über die eigenen Interessen von Facebook hinaus: „Im Grunde geht es um Marks Überzeugung, dass jeder auf der Welt Zugang zum Internet haben sollte.“ Das werde auch den Westen bereichern: „Es gibt keinen Grund, warum der nächste Mark Zuckerberg nicht auch aus einem Dorf in Ghana kommen könnte.“
Internet.org sei eins von Zuckerbergs zentralen Projekten, und Facebook habe bereits mehrere hundert Mitarbeiter darauf angesetzt - obwohl es sich vorerst nicht rechnen werde. „Kurzfristig wird Facebook damit keine Gewinne machen. Und langfristig - werden wir sehen“, sagt Weasler. Denn die Länder, um die es hier gehe, hätten keine starken Märkte für Online-Werbung. Mit anderen Worten: Die Aussichten für Facebook, mit dem heutigen Geschäftsmodell hohe Nutzerzahlen in Gewinne umzumünzen, sind mau.
Zuckerberg selbst kam zum Mobile World Congress in Barcelona, um bei den Kapitänen der Mobilfunk-Branche für Internet.org zu werben. In diesem Jahr wolle man drei bis fünf Netzbetreiber für Testprojekte ins Boot holen, kündigte er an.
Zuckerberg trete in Barcelona nicht als Bittsteller auf, stellt Facebook klar. „Ich denke nicht, dass es schwer sein wird, jetzt drei bis fünf Mobilfunk-Anbieter als Partner zu finden“, sagt Weasler. In diesem Jahr solle das Modell mit ihnen eingefahren werden, „dann wollen wir in großem Stil loslegen“. Es sei eine Aufgabe für die nächsten zehn Jahre.
Die Reaktionen aus der Mobilfunk-Branche sind vorsichtig wohlwollend. „Wir haben gemeinsame Ziele“, sagt Fabrice André, der beim Telekom-Konzern Orange die Entwicklung in Afrika, dem Mittleren Osten und Asien betreut. „Aber jemand muss den Netzzugang auch bezahlen.“
Orange-Konzernchef Stephane Richard und andere Mobilfunk-Bosse wie Vodafone-Lenker Vittorio Colao hätten das Thema in Barcelona bei einem Abendessen mit Zuckerberg besprochen, berichtete die Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Ergebnisse wurden nicht bekannt.
Die Telekom-Firmen betreiben bereits selber ähnliche kommerzielle Projekte, um überhaupt die Märkte der Entwicklungsländer zu erschließen. So bietet Orange auf dem Land in Afrika kleine Sende-Stationen an, über die Kleinunternehmer in ihrem Dorf Telefon- oder Internet-Dienste anbieten können. Die Investition liege bei 150 bis 580 Euro, sagt André. Mikrokredite sind möglich.
Bei Internet.org sind die ganzen Details noch offen. Wer sucht die wenigen grundlegenden Dienste aus, zu denen es einen günstigen oder gar kostenlosen Zugang geben soll? Die Mobilfunk-Anbieter würden auf jeden Fall ein Mitspracherecht haben, erklärt Facebook. Was ist aber, wenn Netzbetreiber oder die Politik in einem Land ausgerechnet Facebook nicht darunter haben wollen? „Ich denke, das wäre okay für uns“, sagt Weasler etwas unsicher.
Vor allem hält sich Facebook aber bei den wirtschaftlichen Grundlagen des Angebots noch völlig bedeckt. Wer soll den Basis-Zugang bezahlen? Facebook deutet schon mal an, dass es nicht die komplette Rechnung tragen wird. „Wir machen eine erhebliche Investition schon dadurch, dass wir in diese Regionen mit schwachen Online-Werbemärkten gehen“, sagt Weasler. Außerdem bekämen die Telekom-Konzerne am Ende neue Internet-Kunden, weil ein Basis-Zugang die Lust auf mehr wecke.
Orange-Manager André gibt allerdings zu bedenken, dass eine viel mächtigere Infrastruktur nötig sein werde, wenn die Nutzer erst einmal auch dort anfingen, in großem Stil Videos von ihren Smartphones zu verschicken. Und der durchschnittliche Umsatz pro Kunde liege in Entwicklungsländern derzeit bei 2-3 Euro im Monat.
Facebook ist nicht der einzige Online-Riese, der Entwicklungsländer ans Netz bringen will. Google hat eigene Initiativen wie das „Project Loon“ mit Sendern auf Ballons in der Luft. Googles Android-Chef Sundar Pichai gibt sich zu Internet.org diplomatisch: „Es ist eine gute Sache.“ Warum dann nicht gleich beitreten? „Ich persönlich wurde nicht gefragt und kenne die Details nicht“, hakt Pichai ab.