Autofahrer als Staumelder: Die Echtzeit-Navigation

Berlin (dpa/tmn) - Der Stau ist vorbei, die Straße frei, doch das Navi warnt noch vor zähen Blechlawinen. Solche Fehler sollen bald passé sein: Denn die Navi-Hersteller setzen auf Verkehrsinfosysteme, die Echtzeit-Daten nutzen - von GPS-Geräten und Handys in Autos.

Ein Unfall auf der Autobahn, der Stau ist vorprogrammiert. In solchen Momenten fragt sich der Autofahrer: Soll ich den Stau umfahren oder auf der Bahn bleiben? Navigationsgeräte, die Verkehrsdaten empfangen können, bieten Entscheidungshilfe. Doch die Daten sind oft schon nicht mehr aktuell, wenn sie das Fahrzeug per UKW erreichen (TMC). Deshalb haben die Hersteller Echtzeit-Navigation über die Mobilfunknetze eingeführt und versprechen schnellere Übertragung und präzisere Daten als bei TMC. Auf der IFA (2. bis 7. September) werden die neuen Geräte mit Echtzeit-Navigation gezeigt. Ein weiterer Trend: aufgeräumtere Optik und einfachere Bedienbarkeit.

Auf die von Touchscreen-Smartphones bekannte Steuerung mit Gesten setzt Falk mit seinem Fünf-Zoll-Flagschiff NEO 550 (ab November für 240 Euro). Das Gerät kostet rund 240 Euro. Bei Navigon heißt die Möglichkeit, per Fingerwisch zwischen verschiedenen Angzeigen zu wechseln Flow-Funktion. „Wie auf einer Arbeitsplatte schiebe ich die Seiten hin und her“, sagt Navigon-Produktmanager Jörn Watzke. Die meisten Funktionen sollen schnell erreichbar sein. Das erste Flow-Gerät ist das Navigon 42 mit 4,3-Zoll-Display (ab September für 139 bis 199 Euro). Leichtere Bedienbarkeit und vereinfachte Darstellung sind auch bei Garmins neuen Nüvi-Modellen 2495LMT mit 4,3-Zoll- und 2595LMT mit 5-Zoll-Display Programm (ab Oktober für 199 beziehungsweise 219 Euro).

Für die Echtzeit-Navigation nutzt Falk Navteq Traffic (ehemals TMCpro). Im Unterschied zu TMC, das öffentlich-rechtliche Radiosender auf Basis von Daten von Polizei, Staumeldern und Verkehrsclubs ausstrahlen, wird TMCpro von den Privatradios verbreitet. Die Daten liefern hier Sensoren in der Fahrbahn und an Brücken sowie GPS-Geräte in Autos. Wähend TMC kostenlos ist, werden die fälligen Gebühren für Navteq Traffic einmalig mit dem Kaufpreis des Gerätes abgegolten.

Eine Smartphone-App zur Echtzeit-Navigation von Navigon heißt Traffic Live. Sie kostet einmalig 25 Euro und erhält per Mobilfunk GPS-Daten von anderen Smartphones mit Navigon-App. Die Echtzeit-Dienste Navteq Traffic Pro, den zum Beispiel Garmin bei seinen Nülink- und Nüvifone-Geräten einsetzt, und das System HD Traffic von Tomtom werden ebenfalls per Mobilfunk beschickt. HD Traffic kostet 50 Euro im Jahr und basiert auf Bewegungsdaten von Handys im Vodafone-Netz und auf den GPS-Positionsangaben anderer Geräte des Herstellers. „Jeder Autofahrer ist ein Staumelder, und dafür bekommt er aktuelle Informationen“, erklärt Ralf-Peter Krämer, der das System mitentwickelt hat.

Bei Traffic Message Channel (TMC) und Navteq Traffic müssen die Daten durch einen schmalbandigen UKW-Kanal. „Dabei kann viel Zeit verloren gehen“, sagt Krämer. Bisweilen hingen Informationen zehn Minuten in der Warteschleife, ehe sie gesendet werden. Bis der Staualarm dann schließlich auf dem Navi angezeigt wird, kann sich die Blechlawine längst in Luft aufgelöst haben. Oder noch ärgerlicher: Der Autofahrer fährt in einen Stau, obwohl auf seinem Display noch freie Fahrt angezeigt wird.

„Der Trend geht zur Übertragung über den Mobilfunk“, sagt Verkehrsexperte Helmut Schmaler vom ADAC. Dieser Weg bietet höhere Bandbreiten als UKW und eine schnellere Übertragung. Am weitesten entwickelt sei derzeit das Tomtom-System. Unter anderem, weil es auf die Daten eines Heers von Vodafone-Handys zurückgreifen könne, sagt Schmaler. „Das funktioniert schon sehr gut.“

Ein Vorteil der neuen Systeme zur Echtzeit-Navigation ist die bessere Abdeckung abseits großer Straßen und Autobahnen. Auf Bundes- und Landstraßen seien klassiche TMC-Navis praktisch staublind gewesen, sagt ADAC-Experte Schmaer. Nun seien mobile Staumelder in Gestalt von Autofahrern mit Smartphones oder GPS-Geräten auch auf Überland-Routen unterwegs. So lässt sich einfacher beurteilen, ob sich das Abfahren von der Autobahn wirklich lohnt.

Zugleich ist das Sammeln von Bewegungsdaten der wunde Punkt bei den neuen Systemen für Echtzeit-Navigation. Tomtom-Manager Krämer betont zwar, dass die Daten anonymisiert und daher gar nicht für Bewegungsprofile eines einzelnen Menschen benutzt werden könnten. ADAC-Experte Schmaler sieht das allerdings mit Sorge. Rein rechtlich seien Bewegungsprofile zwar verboten, doch die Möglichkeiten zum Missbrauch seien da.

Erst im Frühjahr kam Tomtom in den Niederlanden in die Schlagzeilen. Dort waren Bewegungsdaten von Navi-Kunden bei den Behörden gelandet, sagt Schmaler. „Die Polizei wollte wissen, auf welchen Strecken gerast wird und wo sie Radarfallen aufstellen soll.

Da immer mehr Smartphones als Navis genutzt werden, brach der Absatz von Navi-Geräten von 2009 auf 2010 um 15,4 Prozent ein. Bis Ende 2011 soll es in Deutschland erneut ein Minus von gut 10 Prozent auf 3,1 Millionen verkaufte Navis sein. Statt auf Navigationsgeräte greifen immer mehr Nutzer auf Navigations-Apps zurück und sparen sich somit ein Extra-Gerät im Auto.

Navigon-Manager Watzke, sieht den Grund für das Absatz-Minus hingegen vor allem in einem gesättigten Mark. Der Ausrüstungsgrad an Navigationsgeräten sei in Deutschland sehr hoch, sagt er. Smartphones seien weniger direkte Konkurrenten, sondern eine Ergänzung zum separaten Navi. „Das ist wie beim Fotografieren: Mit meiner Handykamera mache ich einen Schnappschuss, aber wenn ich zu einer Geburtstagsfeier gehe, nehme ich meine Digitalkamera mit.“