Das Web als Sargnagel des Fernsehens?

Berlin (dpa) - Erinnern Sie sich noch an die Zeit, in der Experten glaubten, das Internet werde das Fernsehen killen? Eine Null-Theorie aus den Nullerjahren, wie sich zurzeit zeigt.

Das waren noch Zeiten, als Stars wie Peter Alexander, der vor kurzem starb, noch 70 Prozent Marktanteil beim Fernsehpublikum hatten. Vergangene Zeiten. Doch vergangen ist auch die Zeit, in der Experten ungestraft behaupten konnten, das Internet überflügle ein für allemal das Fernsehen. Eine simple Leitmedium-Theorie, die der Realität nicht standhält. Denn: Der Teeküchen-Talk verlagert sich ins Web und handelt oft vom TV.

In Amerika passiert alles ein bisschen früher, sagt man. Vor allem in der Medienentwicklung. Und was geschieht dort? Eine Art Comeback des Fernsehens. Das Internet könne ein Freund des Fernsehens sein, stellte die „New York Times“ bereits vor einem Jahr fest. Der Trend: Man sieht fern und ist dabei online beziehungsweise umgekehrt.

Während der Oscar-Verleihung im vergangenen Jahr surften zum Beispiel 13,3 Prozent der Zuschauer parallel im Internet (2009: 8,7 Prozent). Die meisten davon riefen Seiten wie Facebook, Google oder Yahoo auf, wie die Marktforscher von Nielsen feststellten.

Die US-Marktforscher sprechen von „Water-Cooler-Konversation“, die jetzt online geführt werde. Im Deutschen würde man wohl vom Smalltalk in der Teeküche oder am Kaffeeautomaten sprechen, der sich ins Internet verlagert. „Hast Du gestern im Fernsehen gesehen...?“

Diese Frage muss sich aber auf Sendungen beziehen, die tatsächlich viele interessieren und sich auch eignen, um kurz darüber zu plaudern oder eben online zu posten. Zu beobachten gewesen ist das zum Beispiel beim RTL-Dschungelcamp („Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“) oder den vielen Castingshows wie „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) oder „Germany's next Topmodel“ (ProSieben) sowie natürlich beim ARD-Krimiklassiker „Tatort“. Vergangenes Jahr gab es das auch zum Eurovision Song Contest, als Grand-Prix-Deutschland noch Lena-Lust und nicht Lena-Frust hatte.

Gut ist es in Web-2.0-Zeiten, wenn man schon vorher weiß, dass der Freundeskreis später zu einer bestimmten Show etwas bei Facebook oder Twitter schreiben wird.

Beispiele aus dem Februar: Thomas Gottschalks „Wetten, dass..?“- Abschied, der sich dank „Bild“-Schlagzeile und eindeutig-zweideutigen Zitaten des Showmasters bereits den ganzen Samstag abzeichnete. Dagegen: Der Überraschungsauftritt von Monica Lierhaus bei der Goldenen-Kamera-Verleihung eine Woche zuvor. Die Aktion der lange Zeit vom Bildschirm verschwundenen Sportmoderatorin mussten später viele, die mitreden wollten, bei YouTube oder anderswo nachgucken.

Doch bei alledem bleibt unklar: Steigen die Quoten vor allem bei Großereignissen nur wegen des neuen TV-Web-Wechselspiels?

In den USA jedenfalls dauert der Trend in diesem Jahr an. Die sogenannten Big TV Events im traditionellen Fernsehmonat Februar kommen bislang gut weg: Beim Super Bowl gab es sogar einen Rekord: 111 Millionen Fernsehzuschauer - so viele wie nie zuvor gemessen. Bereits letztes Jahr stellte die Quote mit 106,5 Millionen Zuschauern die langjährige Bestmarke von 105,5 Millionen ein. Sie stammte von 1983, also aus einer Zeit, in der man das Fernsehen viel eher als sogenanntes Lagerfeuer der Nation vermuten würde. Damals lief die letzte Folge der Erfolgsserie „MASH“.

Auch die Verleihung des wichtigen Musikpreises Grammy hatte kürzlich die höchste Quote seit elf Jahren (26,7 Millionen Zuschauer; Vorjahr: 25,9 Millionen). Und die Oscars verzeichneten 2010 mit 41,3 Millionen Zuschauern die höchste US-Quote seit fünf Jahren. Die diesjährige Gala geht an diesem Wochenende über die Bühne.

Die These vom TV-Comeback: In Deutschland, wo König Fußball vergangenes Jahr zu einem Einschaltquotenrekord führte (31,1 Millionen Fans beim WM-Halbfinale Deutschland-Spanien), kommt ein weiteres Phänomen hinzu: Hierzulande steigt der Fernsehkonsum. 223 Minuten sah im Jahr 2010 jeder Mensch in Deutschland täglich fern. Statistisch.

Dahinter muss eine gewaltige „Arbeitsteilung“ stecken - denken die, die kaum Fernsehen gucken. Auf der einen Seite Menschen, die sich stundenlang berieseln lassen, auf der anderen Seite diejenigen, die im WWW statt TV unterwegs sind. Aber wohl auch immer mehr, die beides gleichzeitig tun.