„Digitale Zombies“: Jagd auf Falschmeldungen im Netz
Berlin (dpa) - Sie schüren Angst, lassen staunen und geistern oft jahrelang durchs Internet: Falschmeldungen. Experten versuchen ihre Verbreitung einzudämmen. Doch diese „Hoaxes“ sind nicht totzukriegen - und bergen viele Gefahren.
Microsoft verschenkt Geld, die Organmafia entführt mitten in Deutschland Kinder und Altkleidersammler fangen Katzen. Fast jeder kennt solche abenteuerlichen Geschichten, die im Mail-Postfach landen oder durch die sozialen Medien geistern. „Der Mensch ist ein Kommunikationstier und Geschichtenerzähler. Früher am Lagerfeuer, heute lodert das Lagerfeuer bei Facebook“, sagt IT-Fachmann Frank Ziemann. Der 49-jährige Berliner sammelt die Falschmeldungen, sogenannte Hoaxes, und veröffentlicht sie auf seiner Webseite, um davor zu warnen.
So seien Grusel-Hoaxes verbreitet, die besonders bei ganz jungen Nutzern kursieren. Die Horrorgeschichten über gehäutete Eltern oder Todesdrohungen werden unter anderem per WhatsApp oder Facebook weitergeleitet, auch aufgepeppt mit Audiodateien oder manipulierten Fotos. „Gerade für Jüngere haben solche Geschichten eine höhere Glaubwürdigkeit“, sagt Ziemann.
Auch andere vermeintlich harmlose Falschmeldungen können schnell großen Wirbel verursachen. So wie die erfundene Geschichte über in Deutschland entführte Kinder, die der Organmafia zum Opfer fallen. Nachdem der Hoax sich verbreitete, schickten Eltern in manchen Gegenden ihre Kinder aus Angst nicht mehr in den Kindergarten und die Polizei hatte mit besorgten Anrufen alle Hände voll zu tun.
Oft werden in solchen Hoaxes Ausländer oder Minderheiten wie Roma als Schuldige dargestellt. Das schürt Misstrauen und Vorurteile. „Teilweise hat die Zahl der rassistischen oder ausländerfeindlichen Kettenbriefe in den letzten Jahren etwas zugenommen“, sagt Ziemann.
Richtig gefährlich können Gesundheits-Hoaxes mit medizinischen Ratschlägen werden. Sie erklären beispielsweise, wie man angeblich Schlaganfälle erkennt und verbreiten so ein riskantes Halbwissen.
Der wirtschaftliche Schaden durch Hoaxes sei enorm, warnt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik - durch vergeudete Zeit, zusätzlichen Datenverkehr, oder wenn zum Beispiel auf den Rat von Hoaxes hin am eigenen Computer herumgepfuscht wird und am Ende nichts mehr geht. Deshalb rät das Bundesamt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Mails mit gesundem Menschenverstand zu hinterfragen. „Das Gleiche gilt für Kettenbriefe - am besten sofort löschen und keinesfalls weiterleiten“, heißt es.
Doch warum verbreiten sich Hoaxes wie ein Lauffeuer? Denn im Gegensatz zu Spammails mit Werbung oder Geschichten, mit denen der Absender Geld ergaunern oder zum Klicken auf Webseiten animieren will, profitiert bei Tränendrüsenbriefen, Gruselgeschichten oder Glücksbriefen niemand von der Verbreitung.
Gründe seien die Suche nach Aufmerksamkeit, Unwissenheit oder auch falsche Wahrnehmung, erklärt der Verein Mimikama, der auf seiner Seite verschiedene Hoaxes enttarnt. „Nutzer sehen die 'Altkleidersammler' im Dorf, die ihre Wäschekörbe verteilen. Zum selben Zeitpunkt aber läuft ihnen ihre Katze weg.“ Daraus werde gefolgert, dass die Altkleidersammler mit ihren bunten Wäschekörben Katzenfänger seien - und sie bringen diese Meldung in den Umlauf.
So wird aus einer gute Absicht schnell ein Hoax. So wie bei falschen Aufrufen zur Knochenmarkspende. Einige davon geistern seit vielen Jahren durchs Netz und verursachen massiven Ärger. Frank Ziemann erinnert sich an Fälle, wo Menschen in guter Absicht den Aufruf weiterleiteten - und ihre Signatur unter der Mail ließen.
So sei es einer Frau aus München ergangen. Sie habe bis zu 50 Anrufe am Tag erhalten. Im Laufe der Zeit veränderten sich Details der Geschichte. „Irgendwann war auf einmal sie diejenige, die eine Knochenmarkspende suchte.“ Auch am Uniklinikum Regensburg machte man diese Erfahrung. Ein Knochenmarkspende-Aufruf geistert bis heute durchs Netz - mit Daten des Klinikums. Unter der Rufnummer meldet sich heute noch eine Bandansage und warnt vor dem Kettenbrief.
Auch andere Hoaxes begegnen Ziemann immer wieder. „Da reden wir gerne mal über 10 bis 15 Jahre. Zum Beispiel eine Geschichte von 1998, dass Microsoft sein Vermögen verschenkt und für jede Weiterleitung gibt es Geld.“ Die Falschmeldungen sind nicht auszurotten - wie digitale Zombies wandeln sie durch das Internet.
Dabei bleiben die Geschichten in Grundzügen gleich, nur die Art der Weitergabe verändert sich über die Jahre - von getippten Briefen über E-Mails zu den sozialen Medien. „Die ganz alten Dinger, die lange tot waren, tauchen jetzt alle wieder bei Facebook auf“, sagt Ziemann.