Google festigt Anspruch auf Führung in Technologie-Branche
Berlin/Mountain View (dpa) - Google will viel mehr als ein Internet-Konzern sein. Die Firma, die einst als Online-Suchmaschine begann, schickt sich an, das führende Technologie-Unternehmen der Welt zu werden.
Selbstfahrende Autos, Internet-Anschlüsse für entlegene Gebiete, eine Datenbrille, ein Roboter-Projekt und jetzt auch vernetzte Kontaktlinsen für Diabetiker - bei Google arbeiten Hunderte Wissenschaftler daran, die Zukunft zu erfinden.
Und das geheime Forschungslabor Google X, aus dem der am Freitag vorgestellte Kontaktlinsen-Prototyp kommt, hat noch mehr zu bieten. In einem seltenen Einblick hinter die Kulissen der Forschungsfabrik erzählte Google-Managerin Regina Dugan im vergangenen Frühjahr von weiteren Innovationen wie einem digitalen Tattoo sowie einer elektronischen Pille für die Identifizierung zum Beispiel bei Zugangskontrollen. Die Pille bezieht ihre Energie aus dem Magensaft und sendet ein Signal aus, das von einem Lesegerät ausgewertet werden kann. Dugan kam zu Google von der Forschungsagentur DARPA, die Technologie für das US-Verteidigungsministerium entwickelt.
Google X soll mutig in die Zukunft denken und auch vor ganz verrückt erscheinenden Ideen nicht halt machen, bis hin zu Weltraum-Fahrstühlen, lautet die Vorgabe des Google-Mitgründers Sergey Brin, der das Labor betreut. „Wir wollen ernsthaft die Welt zu einem besseren Ort machen“, verkündete Google-X-Chef Astro Teller in einem Interview des Magazins „Bloomberg Businessweek“. Und verglich das Labor mit Willy Wonkas Schokoladenfabrik, einem magischen Ort, der vorerst von den Augen der Welt abgeschottet bleiben müsse. „Sergey ist Bruce Wayne und ich bin Lucius Fox“, erklärte er die Rollenverteilung in Anspielung auf die „Batman“-Welt. Dort ist Fox der Ingenieur, der dem Milliardär und heimlichen Batman Wayne die nötige Technik liefert.
Die Projekte von Google X gehen weit über die ursprünglich verkündete Google-Mission hinaus, „alle Informationen der Welt verfügbar zu machen“. Und bisher klafft eine Lücke zwischen Visionen und Realität: Die Zukunftsprojekte klingen cool, sind aber alle noch nicht auf dem Markt - und sein Geld verdient Google nach wie vor mit Werbung im Internet, vor allem mit Klicks auf Anzeigen neben Treffern in der Suchmaschine.
Der Brennstoff dafür sind die Daten der Internet-Nutzer. Der Trick ist, dem Nutzer für ihn gerade relevante Werbung einzublenden. Schon vor einigen Jahren erklärte der damalige Konzernchef und heutige Verwaltungsratsvorsitzende Eric Schmidt, Google wolle seinen Kunden stets die richtigen Informationen zur rechten Zeit auftischen - vielleicht sogar noch bevor sie überhaupt wissen, dass sie diese benötigen. So kann der Dienst Google Now vor einer möglichen Verspätung warnen, weil er die Informationen über einen Termin aus dem Google-Kalender mit dem aktuellen Standort und der Verkehrslage kombiniert. Der Haken: Damit das funktioniert, muss Google so viel wie möglich über einen Nutzer wissen.
Vielen ist nicht Wohl dabei, wie sich erst vor wenigen Tagen bei der Übernahme des Anbieters intelligenter Thermostate und Rauchmelder Nest zeigte. Die Geräte der Firma haben eine Vielzahl von Sensoren, die registrieren können, ob ihre Besitzer zu Hause sind und auch in welchen Zimmern sie sich gerade aufhalten. Die Daten landen auf den Nest-Servern. Die Firma betonte zwar, dass die Informationen auch künftig nur für den eigenen Dienst verwendet würden. Doch die Sorge, Google könnte in Zukunft wissen, wann man sein Haus verlässt, schwingt in Kommentaren von Netz-Experten und einfachen Internet-Nutzern mit. Das gleiche gilt für den Gedanken, die Blutzucker-Werte von Google messen zu lassen. Zumal beim Konzern mit dem dominierenden Smartphone-System Android bereits viele Daten über Hunderte Millionen Nutzer landen.
Im Fall der Kontaktlinse, die Diabetiker auf Schwankungen der Blutzucker-Werte hinweisen kann, muss Google zunächst auch noch die Fachwelt überzeugen. „Glukosebestimmung in der Tränenflüssigkeit ist seit Jahrzehnten schon ein Thema, da arbeiten viele Forschungsgruppen dran“, sagte etwa der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Erhard Siegel. Ein Problem war bisher aber, dass das Verhältnis der Glukosewerte im Blut und in der Tränenflüssigkeit schwanke. „Außerdem ließen sich besonders niedrige Blutzuckerwerte nicht exakt erfassen - aber gerade die sind sehr wichtig.“ Auch wenn es ein „absoluter Prototyp“ zu sein scheine, sei die Idee aber vom Ansatz her gut, betonte Siegel zugleich.