Hintergrund: Wie ein Computerprogramm die US-Börsen erschütterte

New York (dpa) - Die Geschehnisse vom 6. Mai 2010 jagen noch heute den Börsianern an der Wall Street kalte Schauer über den Rücken: Wie aus dem Nichts brachen an einen unscheinbaren Donnerstagnachmittag die Kurse auf breiter Front ein.

Selbst Aktien von Schwergewichten wie Apple, IBM oder General Electric gerieten in den Strudel. „Flash Crash“ heißt das Phänomen, zu deutsch „Blitzartiger Absturz“. Viele Händler waren gerade erst vom Mittagessen zurückgekehrt, da kam gegen 14.45 Uhr Hektik im Handelssaal der New York Stock Exchange auf.

Der US-Leitindex Dow Jones, der bereits seit dem Morgen im Minus lag, fiel binnen weniger Minuten um weitere 600 Punkte. Insgesamt verlor der Index in der Spitze rund 1000 Punkte oder etwa ein Zehntel seines Wertes - niemals zuvor war es an der Wall Street in so kurzer Zeit so tief nach unten gegangen. Nach einigen Minuten war der Spuk auch schon wieder vorbei und die Kurse erholten sich großteils.

Es dauerte fast fünf Monate, bis die beiden Aufsichtsbehörden SEC und CFTC sagen konnten, was an jenem Tag genau geschehen war: Ein Investmentfonds hatte demnach um 14.32 Uhr angefangen, sogenannte Terminkontrakte in großer Stückzahl zu verkaufen. Das geschah vollautomatisch. Das verwendete Computerprogramm war so eingestellt, dass es binnen gerade mal 20 Minuten Kontrakte über 4,1 Milliarden Dollar (3,2 Mrd Euro) abstoßen sollte - koste es, was es wolle.

Käufer der Terminkontrakte waren vielfach sogenannte High Frequency Trader. Das sind Händler, die mit Hilfe von mathematischen Modellen per Computer in Sekundenbruchteilen Wertpapiere kaufen und verkaufen. Dabei kommen zwar nur minimale Gewinne heraus, doch das Geschäft rechnet sich durch die schiere Zahl der Transaktionen. Die Programme der High Frequency Trader erkannten, dass eine ungewöhnlich große Zahl an Terminkontrakten auf dem Markt war und die Preise fielen - und sie begannen ihrerseits mit dem Verkauf.

Die Finanzaufseher sprachen in ihrem Bericht von einem „Heiße-Kartoffel-Effekt“. Eine Abwärtsspirale setzte sich in Gang, die schließlich auf den gesamten Aktienmarkt überschwappte. Dieser war ohnehin durch die Schuldenkrise in Europa geschwächt und reagierte nervös. Es kam zum „Flash Crash“. Erst das Eingreifen des Menschen stoppte letztlich die Verkaufswelle der Maschine.

Als Konsequenz aus dem „Flash Crash“ gibt es an den US-Börsen seit zwei Jahren sogenannte Circuit Braker. Das sind Sicherungen, die ähnlich wie im Stromkreis größere Schäden verhindern sollen. Fällt eine Aktie binnen fünf Minuten um 10 Prozent oder mehr, wird automatisch der Handel ausgesetzt. Erst nach fünf Minuten geht es weiter. Der Handel kann aber erneut gestoppt werden, wenn das Papier weiter fällt.

Eine derartige Bremse rettete jüngst den Computerspiele-Hersteller Zynga vor dem totalen Absturz. Der unrühmliche Börsengang des Partners Facebook hatte die Aktie des „Farmville“-Erfinders vor anderthalb Wochen in den Keller gerissen. Zwei Handelsstopps waren notwendig, bis sich das Zynga-Papier wieder fangen konnte.