„Ist das jetzt normal?“ - Blog über Spleens löst Internet-Hype aus

Berlin (dpa) - „Du hast doch 'ne Macke!“ Wer diesen Satz schon einmal gehört hat, findet jetzt im Internet Gleichgesinnte: Ein neues Blog sammelt Spleens und Alltagsmacken - und kann sich seitdem vor Zuschriften kaum retten.

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Der eine kontrolliert x-Mal, ob der Herd auch wirklich aus ist. Der andere kann nicht auf der Fensterseite einschlafen - und nimmt im Supermarkt nur die Lebensmittel aus der hintersten Reihe. Wer geglaubt hat, dass er mit solchen Marotten allein ist, wird nun eines Besseren belehrt: Ein Blog sammelt jetzt skurrile Angewohnheiten - und löste in kürzester Zeit einen regelrechten Hype im Internet aus.

„Ich glaube, dass es therapeutisch ist“, sagt Christian Brandes, der das Blog namens „Spleen24“ mit Freunden ins Leben gerufen hat. „Man kriegt dann ein Gefühl dafür, dass man normal ist.“ Brandes steht auch hinter der Webseite „Schlecky Silberstein“, die ihrerseits Kuriositäten sammelt. Obwohl „Spleen24“ erst vor einigen Tagen auf der Blogging-Plattform Tumbr gestartet ist, haben Leser dort schon mehr als tausend Ticks preisgegeben.

Einer verrät zum Beispiel: „Manchmal bekommen meine Füße unerträgliche Platzangst. Die Socken über die Fersen zu ziehen sorgt dann wieder für gefühlt mehr Freiraum.“ Mit Besonderheiten, die den eigenen Körper betreffen, ist er nicht allein: „Wenn ich mir ein Wattestäbchen ins Ohr stecke, muss ich immer husten. Das ist aber nur beim rechten Ohr so. Beim linken Ohr ist alles normal“, tut ein anderer kund. Die Beiträge sind anonym, so dass sich damit niemand der Öffentlichkeit offenbaren muss.

Warum so viele Menschen freiwillig ihre seltsamen Angewohnheiten rausposaunen? „Es ist ein gutes Gefühl zu sehen: Das geht anderen auch so“, sagt die Stuttgarter Psychologin Marion Sonnenmoser, die ein Buch über solche kleinen Macken geschrieben hat. „Die Seite trägt zur Enttabuisierung bei“, glaubt sie. „Und sie zeigt, dass kleine Macken auch etwas Menschliches sind.“ Dass die Seite so beliebt ist, liege aber wohl auch an einer „Mischung aus Neugier und Voyeurismus“.

Bloßstellen wollen die Macher von „Spleen24“ aber niemanden, wie Brandes betont. Sämtliche Beiträge werden vorher gegegengelesen - wegen des großen Ansturms hat der 32-Jährige dafür sogar schon seine Mutter eingespannt. Ursprünglich sollte das Blog vor allem für einen therapeutisch sein: ihn selbst.

Nach eigenem Bekunden wollte sich Brandes lediglich seine eigenen Macken abgewöhnen - und sie dazu erst einmal sammeln. „Dann habe ich festgestellt, dass ich schon eine DIN-A4-Seite voll habe“, erzählt der Berliner. „Da dachte ich mir: Ist das jetzt normal?“

Offensichtlich schon. Viele seiner eigenen Marotten hat Brandes mittlerweile in dem Blog wiederentdeckt. „Es ging los mit dem Zupfen von Nasenhaaren“, sagt er. „Dann habe ich gesehen, dass das viele machen. Mittlerweile kann ich offen darüber reden.“

Beim Lesen der verschiedenen Eigenarten hat der 32-Jährige auch einige Parallelen ausgemacht: „Ganz viele haben einen Tick mit Zahlen - vor allem mit ungeraden“, erzählt er. „Viele stellen ihr Radio zum Beispiel nur auf gerade Frequenzen.“

Besonders skurril: Manche Menschen seien „empathisch gegenüber Objekten“ und legten zum Beispiel beim Nachfüllen des Druckerpapiers die alten Blätter nach oben, damit auch sie ihre Bestimmung erfüllen könnten. Brandes: „Es gibt auch Leute, die können ihr Brot nicht halbieren, weil es ihnen leidtut.“

Aber was ist nun liebenswerte Eigenart und was ernsthaftes Problem? Psychologin Sonnenmoser kennt eine einfache Faustregel für den Unterschied zwischen kleiner Macke und ernsthafter Zwangsstörung. „Der wesentliche Unterschied ist die Beeinträchtigung“, sagt sie. „Zwangsgestörte haben einen hohen Leidensdruck und können ihr Leben nicht mehr normal leben.“

Sonnenmoser: „Es macht keinen Sinn, zehnmal täglich zu kontrollieren, ob man abgeschlossen hat und es kostet unwahrscheinlich viel Zeit.“ Wer durch seine Eigenarten nicht im Alltag beeinträchtigt werde, müsse sich hingegen keine Sorgen machen.

Zumindest Brandes will sich seine eigenen Ticks nun nicht mehr abgewöhnen. „Jetzt habe ich einen anderen Bezug dazu“, sagt er. „Es ist vollkommen okay, zu seinen Schwächen zu stehen. Wir sind eben nicht alle diese Astralwesen.“

Literatur:

Marion Sonnenmoser: „Take it easy - kleine Macken hat doch jeder“. Verlag Herder, Freiburg, 160 Seiten, 8,95 Euro, ISBN-13: 978-3-451-06073-1