Jaron Lanier - Klagelied auf den Traum vom freien Internet

Frankfurt/Main (dpa) - Enttäuschte Liebe hat ihn zum Mahner gemacht: Der Internet-Pionier Jaron Lanier sieht in unserem Umgang mit dem globalen Computernetz die Gefahr einer totalitären Gesellschaft.

Foto: dpa

„Die Idee der Offenheit hat sich ins Gegenteil verkehrt“, sagt Lanier zwei Tage vor der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. „Wir brauchen einen intelligenteren Ansatz.“

Offenheit, das ist für den US-Informatiker vor allem die bereitwillige Überlassung von persönlichen Daten an Internet-Dienste wie Google und Facebook. Dadurch werde der Reichtum in den Händen einiger weniger Unternehmer konzentriert, während die breite Mitte der Gesellschaft leer ausgehe.

„Wir brauchen eine neue Art von Balance“, sagt Lanier auf der Frankfurter Buchmesse. In seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?“ schlägt er ein neues Modell der Internet-Wirtschaft vor, das die privaten Urheber von Informationen honorieren soll.

Die skeptischen Töne Laniers passen zur Grundstimmung der Buchhandels- und Verlagsbranche, die sich noch mitten im Umbruch befindet und lange versucht hat, sich der Digitalisierung zu entziehen. Nein, er sei kein Pessimist, betont der 54-Jährige, der mit seiner Rasta-Mähne seinen Wurzeln in der frühen Szene von Computerfreaks treubleibt.

Ein Pessimist sei jemand, der die Arbeit an einer Veränderung der Zustände aufgegeben habe. Er aber wolle daran mitarbeiten, das überaus komplizierte Puzzle zu lösen, auf das sich die Welt mit der Digitalisierung eingelassen habe.

Der gebürtige New Yorker tritt für schrittweise, pragmatische Veränderungen ein. Den Glauben an den großen Wurf habe er verloren. Es gebe keine einfachen Lösungen, wie sie sein Freund John Perry Barlow, einst Songtexter der Band Grateful Dead, 1996 mit seiner „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ herbeigesehnt habe. Barlow hatte damals „eine Zivilisation des Geistes“ im Internet beschworen: „Möge sie humaner und gerechter sein als die Welt, die eure Regierungen bisher produziert haben!“

Jetzt wird nicht der Internet-Visionär, sondern der Mahner gewürdigt, weil er laut Würdigung für den Friedenspreis eindringlich auf die Gefahren hinweise, „die unserer offenen Gesellschaft drohen, wenn ihr die Macht der Gestaltung entzogen wird und wenn Menschen, trotz eines Gewinns an Vielfalt und Freiheit, auf digitale Kategorien reduziert werden“.

Lanier zog es schon mit 13 Jahren zu Mathematik-Vorlesungen an die Uni. Zehn Jahre danach arbeitete er am Labor der Computerfirma Atari und beschäftigte sich dort unter anderem mit einem Datenhandschuh zur Interaktion mit der virtuellen Realität - ein Begriff, dessen weite Verbreitung auf Lanier zurückgeführt wird. Das Eintauchen in digitale Welten beschäftigte ihn später auch bei Silicon Graphics, ehe er sich von der Arbeit für Unternehmen abkehrte und an der Columbia University in New York zu forschen und zu lehren begann.

Die Software-Entwicklung überlasse er inzwischen den Jüngeren, sagt er in Frankfurt, bastelt aber zwischen dem Schreiben seiner inzwischen drei Bücher auch gern an der einen oder anderen technischen Spielerei. Außerdem spielt Lanier viel Musik, komponiert und sammelt seltene Instrumente.

Der Trubel um die Preisverleihung ist Lanier sichtlich unangenehm. So holt er auf der Buchmesse erstmal eine uralte Holzflöte aus Laos hervor, eine Khaen, und improvisiert darauf eine traurige Weise. Mit ihren zweimal 16 Röhren für unterschiedliche Töne sei diese Flöte der Beginn der Digitaltechnik, erklärt Lanier. „Das ist auch ein Grund, warum ich sie so liebe.“