Mutmaßlicher Wikileaks-Informant Manning vor Gericht
Fort Meade/London (dpa) - Amerika gegen Bradley Manning: Der größte Geheimnisverrat in der US-Geschichte durch die Internetseite Wikileaks wird seit Freitag juristisch aufgearbeitet.
Vor einem Militärgericht auf dem Stützpunkt Fort Meade (US-Staat Maryland) bei Washington begann eine Anhörung des mutmaßlichen Informanten der Enthüllungsplattform. Erstmals seit seiner Verhaftung vor eineinhalb Jahren kann sich der Obergefreite Manning öffentlich zu den Vorwürfen äußern. Während sein Anwalt mit der Forderung scheiterte, den Ermittlungsrichter auszutauschen, demonstrierten seine Unterstützer für einen Freispruch.
Der 23-Jährige zeigte sich an der Seite seiner Anwälte im Tarnanzug und mit Brille. Die voraussichtlich einwöchige Anhörung soll klären, ob die Beweise für die Eröffnung eines Militärprozesses ausreichen. Falls ja, droht Manning im Fall einer Verurteilung eine lebenslange Gefängnisstrafe.
Dem Obergefreiten wird vorgeworfen, während seiner Stationierung als Analyst der US-Armee im Irak Geheimdienstdokumente aus Computern gezogen und sie dann der Enthüllungsplattform Wikileaks zugespielt zu haben. Die Veröffentlichung der Papiere unter anderem über die Kriege im Irak und in Afghanistan hatte weltweit für Wirbel gesorgt. Die Preisgabe massenhafter Diplomaten-Depeschen hatte US-Botschafter und Politiker in aller Welt blamiert, gar Regierungen wanken lassen.
Die Anklage wirft dem jungen Mann, der an diesem Samstag Geburtstag hat, insgesamt 22 Brüche von Militärgesetzen vor. Er habe mit seinen Taten unter anderem Kameraden gefährdet. Am schwersten wiegt die Anschuldigung, „den Feind unterstützt“ zu haben - dieses Vergehen kann mit der Todesstrafe geahndet werden. So weit wollen die Ankläger allerdings nicht gehen. Manning bestätigte dem Untersuchungsrichter Paul Almanza mit einem leise gesprochenen „Ja, Sir“, die Art der Vorwürfe zu verstehen. Auf der Anklagebank in dem hochgesicherten Gerichtsgebäude machte er sich eifrig Notizen.
Mannings Anwalt David Coombs scheiterte mit seiner Forderung, den Ermittlungsrichter wegen eines mutmaßlichen Interessenkonflikts auszutauschen. Richter Almanza sei ein Militärreservist und arbeite in seinem zivilen Leben als Staatsanwalt, sei daher befangen. Zudem sei er ein Handlanger des Verteidigungsministeriums, für das er lange tätig gewesen sei. Das Pentagon sieht in Manning einen Verräter.
Richter Almanza wies den Verdacht zurück. „Ich denke nicht, dass eine vernünftige Person, die alle Umstände kennt, zu dem Glauben kommen könnte, dass meine Unparteilichkeit infrage steht“, sagte er. Auch die Ankläger erklärten, die Regierung denke nicht, dass Almanza parteiisch sei.
Vor der Militärbasis demonstrierten rund 50 Menschen für einen Freispruch Mannings. „Wir fordern einen fairen Prozess“, sagte Leutnant Dan Choi, einer der Demonstranten. Nach Meinung von Anwalt Coombs ist das nicht gewährleistet, weil bereits der US-Präsident selbst von der Schuld Mannings gesprochen habe: „Er hat das Gesetz gebrochen“, hatte Barack Obama im vergangenen Jahr bei einem Auftritt gesagt.
Coombs beschwerte sich auch darüber, während der Anhörung keine Zeugen befragen zu dürfen. Er hatte eine Liste mit insgesamt 48 Personen eingereicht, darunter laut dem Fernsehsender CNN auch Obama und US-Außenministerin Hillary Clinton. Sie hätten die Frage beantworten sollen, ob es sich bei den Papieren überhaupt um Staatsgeheimnisse gehandelt habe. „Warum ist das Zeug klassifiziert? Warum sollte es Schaden anrichten“, fragte er.
Die Demonstranten vor den Toren des Forts beklagten, dass Manning bereits mehr als 18 Monate festgehalten wurde, bevor es überhaupt zu der Anhörung kam. Er hatte sich in der Zeit auch mehrfach über Schikanen in der Haft beklagt, etwa, dass er eine Zeit lang jeden Abend vor Gefängniswärtern nackt strammstehen musste.
„Die Militärs sind nicht offen für Leute, die ihre Meinung sagen. Sie wollen den anderen Soldaten zeigen, was ihnen passieren könnte“, sagte Jeff Paterson, der die Unterstützergruppe für Manning mitgründete. Das Netzwerk hat nach einem Bericht der Zeitschrift „Wired“ bereits mehr als 150 000 Dollar (115 000 Euro) an Spenden für die Verteidigung aufgebracht.
Derweil hat sich der Wikileaks-Gründer Julian Assange mit einem weiteren gerichtlichen Widerspruch vorerst vor einer Auslieferung nach Schweden gerettet. Er hatte sich an den Supreme Court in London gewandt, der die Berufung annahm. Die zweitägige Anhörung wird am 1. Februar nächsten Jahres beginnen, kündigte das Gericht am Freitag an. Die schwedische Justiz hatte mit einem EU-weiten Haftbefehl die Auslieferung von Assange gefordert. Er wird in dem skandinavischen Land beschuldigt, zwei Frauen sexuell belästigt und vergewaltigt zu haben. Eine Anklage gegen Assange gibt es nicht.
Der 40-Jährige Australier lebt seit einem Jahr unter strengen Auflagen im Haus eines Freundes in England. Assange befürchtet, von Schweden aus in die USA abgeschoben und dort für die Enthüllungen verantwortlich gemacht zu werden.